In Moutier BE scheint äusserlich alles ruhig, doch die Hochspannung ist überall spürbar. Am Sonntag stimmt das 7700-Einwohner-Städtchen im Berner Jura darüber ab, ob es bei Bern bleibt oder zum Jura wechselt. Auf den ersten Blick ist das Resultat klar: Balkone und Fenster schmücken ausschliesslich Jura-Fahnen. Sogar auf einen Felsen haben Projurassier gross ihr Wappen hingemalt. Die einzige Berner Fahne thront hoch oben auf dem Schlosshügel, dort, wo die kantonale Verwaltung angesiedelt ist.
Die Spaltung ist auch geografisch: Unten im Stadtzentrum wehen mehrere Fahnen auf dem Hôtel de Ville, dem Stadthaus. Die Berner Flagge fehlt. Seit den 80er-Jahren kontrollieren die Separatisten die Lokalpolitik. Stadtpräsident Marcel Winistoerfer (60, CVP) ist siegessicher: «Das Oui wird gewinnen. Ein Nein wäre eine Katastrophe.»
Jura-Fahnen sind nicht zu übersehen
Der Stapi arbeitet im Vollpensum als Sekundarlehrer in Moutier. Trotzdem sagt er: «Wir haben nichts mit dem Kanton Bern zu tun, wir gehören zum Jura. Es ist eine Frage der Identität, des Herzens.» Im Parterre des Stadthauses steht eine riesige, mehrfach gesicherte graue Urne. Viele Projurassier haben hier bereits ihr Stimmkuvert eingeworfen. Im Stadtrat sitzen sechs Separatisten und drei Berntreue. «Wir essen jetzt nicht mehr zusammen zu Mittag. Das wäre pure Heuchelei», sagt Winistoerfer.
Auf den Strassen draussen halten sich die meisten bedeckt. «Es geht nicht ums Herz», sagt ein Rentner vor einem Kleiderladen. «Im Jura ist alles viel teurer.»
Tina Schluep (24) ist Mitglied der Jungen SVP des Kantons Bern. «Die Berntreuen wollen keine Probleme, darum schweigen sie. Die Ladenbesitzer dürfen nichts sagen, sonst verlieren sie Kunden. Ich habe Kollegen, denen gekündigt wurde, weil sie berntreu sind.» Schluep ist angehende Primarlehrerin. «Bern vernachlässigt uns nicht. Wir haben sogar Sonderrechte.» Bei einem Kantonswechel zieht sie in den Kanton Bern.
Nach der Wahl wollen viele zügeln
Auch Patrick Roethlisberger (57) wird den Sitz seiner Maschinenbaufirma bei einem Oui in den Kanton Bern verlegen. «Ich werde auch privat dorthin zügeln. Die Projurassier sind Leute, die nichts respektieren, nicht einmal die Geschichte», sagt der Präsident der FDP-Orts- und Bezirkspartei. Seit dem 3. Dezember 1986 fehlt im Schlosspark die Stele auf dem Sockel des Denkmals, das an den Burgrechtsvertrag von 1486 mit Bern erinnert. Der Grund: Separatisten haben ihn geklaut.
«Wir haben hier alles», sagt Roethlisberger. «Arbeitsplätze, ein Spital, eine gute Infrastruktur. Es ist ein Pokerspiel, man spielt nicht mit der Zukunft. Es gibt viele, die mit dem Herzen Jurassier sind, doch mit dem Portemonnaie sind sie Berner.»
Das glaubt Valentin Zuber (28) keine Sekunde lang. Der Präsident der stärksten Kraft im Parlament, des «Parti socialiste autonome du Sud du Jura», sagt: «Eine unabhängige Studie der Kantone Bern und Jura hat gezeigt, dass eine Mehrheit bei einem Wechsel zum Jura steuertechnisch eher profitiert.»
Zuber ist siegessicher: «Wir haben die Jungen mobilisiert. Wir gewinnen.» Der Frage, ob die Projurassier bei einem knappen Resultat einen Rekurs einreichen, weicht Zuber aus.
Vielen fühlen sich als Projurassier
Im Restaurant de Gare sitzen die Projurassier. «Ich habe mich mein ganzes Leben lang als Jurassier gefühlt», sagt Germain Heiniger (76). «Ich habe nichts gegen Bern. Dort wissen sie aber nicht einmal, wo Moutier liegt.» Draussen auf der Terrasse sitzt Fabienne Jobin (57): «Ich weiss noch nicht, was ich abstimme. Aber wir wurden immer von Bern benachteiligt.» Gegenüber, im Express-Bahnhofbuffet, verkehren die Proberner. Keiner will etwas sagen. Sie wollen am Sonntag ihr Kreuz sprechen lassen.