Jetzt springen sie wieder. Heute messen sich im Berner Oberland die 40 besten Basejumper der Welt. Im Wingsuit (Flügelanzug) springen sie von der Mürrenfluh, stürzen sich 700 Meter in die Tiefe.
Basejumping zählt zu den gefährlichsten Sportarten überhaupt. Schon kleine Fehler können zum Tod führen. Erst am Sonntag starb die Schwedin Wioletta Roslan († 37). Die erfahrene Wingsuit-Pilotin verlor ihr Leben bei einem Sprung ins Lauterbrunnental.
«Ich bin unendlich traurig und erschüttert», sagt Wiolettas Mutter Halina Zaniewska-Pettersson (68) zu SonntagsBlick. «Ich habe sie so oft gebeten, mit dem Springen aufzuhören. Aber sie wollte weitermachen.»
Wioletta Roslan kennt das Lauterbrunnental bestens. Zwei Jahre lang hat sie hier gelebt und gearbeitet. «Nur, um jederzeit springen zu können», sagt ihre Mutter.
Am vorigen Sonntag kam Roslan erneut in die Schweiz: Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Aleksander Domalewski. Sie will noch am selben Tag springen. Mit dem Bähnli fahren die beiden zur Absprungstelle «Via Ferrata».
Wioletta war schwanger
Schon Hunderte Male ist Wioletta Roslan von diesem Punkt aus gestartet. Oft mehrmals täglich. Und doch ist es dieses Mal etwas Spezielles. Die 37-Jährige fliegt nicht alleine. In ihrem Bauch wächst ein Kind heran. «Wioletta war im vierten Monat schwanger», verrät die Mutter.
Es geht alles ganz schnell. Aleksander, der gleichzeitig abgesprungen ist, muss zusehen, wie seine Freundin stirbt. «Er erzählte mir, dass Wioletta kämpfte, als sie den Fallschirm öffnen wollte», sagt Halina Zaniewska-Pettersson. Doch es gelingt ihr nicht. «Am Ende gab sie auf und breitete ihre Arme aus.»
Wioletta ist sofort tot. Notarzt Bruno Durrer (59) kann nichts mehr ausrichten. «Als ich auf die Unfallstelle kam, war es unschön», sagt er. «Eigentlich wie bei jedem solchen Unfall. Doch dieses Mal war es schwieriger als sonst, weil ich sie kannte.»
Wioletta Roslan war ein Star in der Basejumping-Szene. Eine der wenigen Frauen. 2008 porträtierte das Schweizer Fernsehen sie in einer «Dok»-Sendung. Zusammen mit Ueli Gegenschatz († 38), der zwei Jahre später bei einem missglückten Sprung vom Sunrise-Tower in Zürich starb.
Sprung ohne Helm
Auf dem Bildschirm sieht man Wioletta ihren Fallschirm packen. In Sachen Packkunst hat sie einen schlechten Ruf. «Andere sagen, dass ich scheisse packe, aber ich denke, ich packe ganz gut», sagt sie und lächelt in die Kamera. Mit dem Bähnli fährt sie auf den Berg. Oben angekommen, merkt sie: «Oh, ich habe meinen Helm vergessen.» Sie springt trotzdem.
Im Film kommt auch Wiolettas Mutter vor. Die Schwedin ist gerade zu Besuch in der Schweiz. «Als ich sie das erste Mal habe landen sehen, hab ich Gänsehaut gehabt», sagt sie unter Tränen. «Ich mache mir grosse Sorgen um Wioletta. Mir wäre lieber, sie würde nicht springen.»
Doch Wioletta lässt sich den Adrenalinkick von niemandem nehmen. «Ich erzähle meiner Mutter nicht zu viel übers Basejumpen», sagte sie damals. «Die meisten Leute verstehen eh nicht, worum es geht. Manchmal ist es besser, zu schweigen.»
Ob Wioletta auch springen würde, wenn sie einmal Mutter ist, wird sie gefragt: «Ich kann das jetzt nicht genau sagen. Ich liebe das Jumpen, ich liebe das Fliegen. Ich denke, ich werde als Mutter alles das tun, was ich jetzt tue», sagt sie. «Aber vielleicht werde ich auch diese Liebe für die Kinder empfinden und sagen, ich mache es nicht mehr.»
Lust auf Lebensfreude
Wioletta war schwanger. Und ist trotzdem gesprungen. «Für mich ist es ein doppelter Verlust. Ich wäre Grossmutter geworden», sagt Halina Zaniewska-Pettersson. «Ich konnte sie nicht vom Springen abhalten. Sie war alt genug, selber zu entscheiden, was sie tat.»
Wioletta entschied, dem Basejumpen alles unterzuordnen. «Sie war eine echte Abenteuerin, reiste nach Frankreich, Italien, Australien, Neuseeland, Thailand, Amerika. Oft nahm sie mich mit», sagt die Mutter. «Sie war ein aufgestelltes Mädchen, voller Lebensfreude.»
Ein Leben ohne Basejumpen konnte sie sich nicht vorstellen. «Ich fühle mich lebendig, wenn ich springe. Ich finde das normale Leben langweilig», sagt sie in dem SF-Film. Doch auch ihr war klar: Der Tod fliegt immer mit. «Wir haben eine gewisse Zeit auf dieser Erde. Und wenn die Sonne untergeht, dann ist ‹Game over›.»