So arbeitet Verhandlungspolizistin Anna Sonnen
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Handeln im Ausnahmezustand:So arbeitet Verhandlungspolizistin Anna Sonnen

Anna Sonnen (47) ist die Verhandlungschefin der Kantonspolizei Bern – ihre Waffe ist die Kommunikation
«Meine längste Verhandlung dauerte sieben Stunden»

Wenn sich ein Bewaffneter verschanzt oder ein Räuber eine Geisel nimmt, bietet die Polizei die Verhandlungsgruppe auf. Die Berner Polizistin Anna Sonnen (47) macht diesen Job schon seit 2007 und erlaubt Blick nun einen raren Einblick in den Alltag.
Publiziert: 05.04.2022 um 00:29 Uhr
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Aktualisiert: 05.04.2022 um 13:20 Uhr
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«Meine längste Verhandlung dauerte sieben Stunden», erzählt Sonnen im Interview mit Blick.
Foto: Luisa Ita
Luisa Ita

Ihre Waffe ist die Kommunikation: Anna Sonnen (47) ist die Leiterin der Verhandlungsgruppe von der Kantonspolizei Bern. Sie und ihre Leute sind extra dafür ausgebildet, in ausweglos erscheinenden Situationen mit den Betroffenen eine Lösung zu finden. Das oberste Ziel: Alle sollen lebendig und unverletzt aus der verzwackten Lage wieder herauskommen.

«Einmal wurden wir aufgeboten, als ein Mann nach einer Trennung seine Partnerin mit einem Messer bedroht hatte», erinnert sich die langjährige Verhandlerin an einen Einsatz. «Die Kollegen haben ihn aufgefordert, aus dem Gebäude hinauszutreten – doch er hat sich geweigert.» Deswegen habe man schliesslich die Verhandlungsgruppe dazugeholt.

Messer-Mann liess sich dank Verhandlerin festnehmen

«Als wir auf Platz gekommen sind, hatte sich der Mann zwar schon aus dem Gebäude hinausbewegt, aber er stand immer noch mit dem Messer in der Hand vor der Polizei», erzählt sie. «Er war sehr ausser sich, und ich hatte den Eindruck, dass er auch alkoholisiert war.» Lange habe die Verhandlerin mit dem Bewaffneten gesprochen: «Dann liess er sich endlich festnehmen.»

Und genau das ist auch die primäre «Waffe» der Verhandlungsgruppe: die Kommunikation. Zwar seien alle Verhandler auch an der Schusswaffe ausgebildet, doch diese würde nur in einer absoluten Notsituation eingesetzt. In den akuten Bedrohungslagen, in denen die Spezialistinnen und Spezialisten aufgeboten würden, versuche man immer zunächst mit Worten an die Betroffenen zu gelangen und sie zur Vernunft zu bringen.

Eine gemeinsame Ebene finden

«Das kann übers Telefon sein, denn fast alle Menschen haben heutzutage ein Handy bei sich, oder auch face-to-face», erklärt Sonnen. «Dann geht es zunächst einmal darum, wer wir sind und was die Ausgangslage ist. Und dann müssen wir einfach mal zuhören. Wir müssen verstehen, was dieser Mensch gerade durchmacht.» Es gehe darum, eine gemeinsame Ebene zu finden und eine Beziehung zu der Person aufzubauen.

«Wenn jemand Grundbedürfnisse wie Durst oder Hunger hat, bietet die Polizei Hand. Manchmal braucht es genau das, damit sich jemand wieder beruhigen kann», so die Verhandlungschefin. «Generell braucht es in so einer Situation viel Empathie und Geduld. Die Betroffenen haben oft das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, und da hilft es oft, einfach schon mal für sie da zu sein und Verständnis aufzubringen.» Man versuche dann, gemeinsam Perspektiven zu schaffen und Lösungen zu finden. «Meine längste Verhandlung dauerte sieben Stunden», erzählt Sonnen. Sie betont aber deutlich: «Empathie aufzubringen, heisst aber auf keinen Fall, dass wir akzeptieren, was diese Menschen tun oder tun wollen.»

«Wir trainieren viel, um Leben zu retten»

In vielen Fällen gingen Bedrohungssituationen mithilfe der Verhandlungsprofis glimpflich aus, so die Bernerin: «Es ist schön mitzuerleben, dass wir recht häufig etwas bewirken und eine Deeskalation herbeiführen können.» Doch manchmal könnte auch die geschulte Verhandlungsgruppe nichts mehr ausrichten. «Wenn man vor Ort versucht, Kontakt mit jemandem aufzunehmen, und schlussendlich findet man einen Menschen nur noch tot vor, dann ist das tragisch.» Damit müsse man lernen umzugehen, so die Expertin weiter: «Und wenn wir bei der Verarbeitung Hilfe brauchen, gibt es auch psychologische Betreuung für uns.»

Wie gefährlich die Lage auch für einen selbst war, merke man nämlich zum Teil erst im Nachhinein. «Vor Ort vertraue ich den anderen Einsatzkräften, dass wir uns gegenseitig beschützen», sagt Anna Sonnen. «Bei einer Nachbesprechung merkt man dann plötzlich, dass man sich vielleicht noch besser hätte schützen können.» Wichtig sei, dass man aus diesen Fehlern lerne und daran wachse: «Wir trainieren viel, um Leben zu retten.»

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