Auf den ersten Blick fällt die Verletzung im Auge nicht auf. Erst bei genauerem Hinsehen taucht hinter der Hornhaut eine kleine Rille auf, als ob das Auge mal übel gestaucht worden wäre. «Ich werde wohl nie mehr normal sehen können. Vielleicht werde ich ganz erblinden», sagt der Berner Urs B.* (41). Ein Faustschlag hat das Sehen des Bundesangestellten stark verschlechtert.
In der Wohnung von Urs B. stapeln sich die Akten. Der kaufmännische Angestellte hat nur eines im Kopf: «Salvatore muss für die Attacke eine gerechte Strafe erhalten. Er hat mich schlimm verletzt, er soll dafür büssen.»
Zwei Jahre ist es her, dass ihn sein damaliger Kumpel besucht und auf dem Sofa ins Gesicht geboxt hat. Im vergangenen November hat Urs B. schliesslich einem Vergleich zugestimmt. Täter Salvatore R.* (29) sollte 3000 Franken Genugtuung zahlen. Doch der Italiener hat noch keinen Rappen lockergemacht. Urs B. ist sauer: «Ich hatte jetzt die Betreibung eingeleitet. Er muss mir auch noch 11'000 Franken Schulden zurückzahlen.»
Ging es um Geld?
Kennengelernt hat er Salvatore R. 2018 auf der Strasse. «Wir waren uns sympathisch», sagt Urs B. zu Blick. Und: «Wir wurden Freunde.» Doch dunkle Wolken zogen auf, als Salvatore R. immer öfter Geld wollte. Urs B. bezahlte für den Sozialhilfebezüger Rechnungen von über 11'000 Franken. Das wurde dem Bundesangestellten irgendwann zu viel. Er sagt: «Ich wollte es beenden. Ich sagte ihm, dass er mich nur wegen des Geldes treffe. Gleichzeitig tauschte er mit seiner neuen Freundin Herzchen per SMS aus. Als ich ihm sagte, dass doch die Freundin ihm Geld schicken soll, schlug er zu. Mit voller Kraft, in mein linkes Auge.»
Der Schlag hatte eine grosse Wirkung, sagt Urs B.: «Ich sah nur noch schwarz. Salvatore legte ein frisches Schnitzel aufs Auge, aber das half auch nichts. Ich dachte zuerst, dass nur meine implantierte Linse schmerzt. Darum ging ich am Sonntag noch nicht ins Spital.» Als auch am Montagmorgen das Auge geschwollen war und schmerzte, meldete er sich beim Augenarzt. Der schickte ihn umgehend ins Berner Inselspital. Die zögerten nicht, Urs B. wurde notoperiert.
Salvatore R. untergetaucht
Laut Arztbericht musste dem Auge der Glaskörper entfernt werden, die Regenbogenhaut operiert und neue Artisanlinsen implantiert werden. Die Operation sei gut verlaufen, aber Spätkomplikationen wie Netzhautablösung und erhöhter Augendruck seien noch Jahre später möglich.
Bei der Befragung durch die Polizei hatte Salvatore R. angegeben, dass er Urs B. mit beiden Händen fortgestossen hatte, weil der ihm an die Wäsche gewollt habe. Er streitet ab, dass es ein gezielter Faustschlag gewesen sei.
Die Anwältin von Salvatore R. will zu dem Gebaren ihres Klienten nichts sagen. Der ist zudem nicht auffindbar. Zuletzt wohnte er bei seinen Eltern. Urs B. muss wohl auf sein Geld verzichten. Das Betreibungsamt hat bereits auf seine Eingabe geantwortet. In dem Brief steht: «Der Schuldner ist gemäss Abklärungen des Betreibungsweibels nicht mehr an der uns bekannten Adresse wohnhaft. Eine neue Adresse konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.»
* Namen geändert