Der grosse Käfig ist leer. Das Laufrad steht. Kein Pfeifen weckt Rossana S.* (50) mehr am Morgen. Nie mehr werden Johnny und Mary mit Frauchen kuscheln. Traurig ist die neue Stille in der Bieler Wohnung. «Sie waren wie meine Kinder. Ich vermisse meine Lieblinge so sehr», sagt Frauchen Rossana. In die Trauer mischt sich Wut.
«Fünf Jahre hatte ich meine Präriehunde. Sie waren erst ein paar Monate alt, als ich sie in Italien erwarb», erinnert sich Rossana S. und fügt an: «Beim Umzug in die Schweiz nahm ich sie mit. Es ging ihnen wunderbar. Im Oktober 2020 waren sie beim Tierarzt – und kerngesund.» Rosannas Problem: Sie hat keine Haltebewilligung. «Ich hatte zwar in Italien einen Kurs bei der Züchterin belegt, der Schein wird hier aber nicht anerkannt!» In der Schweiz hätte sie eine dreijährige Ausbildung zur Zootierpflegerin absolvieren müssen, um Präriehunde halten zu dürfen.
Tierärztin und Polizisten vor der Tür
Eine Ex-Kollegin zeigt Rossana S. bei den Behörden an. Am 16. April 2021 stehen eine Bieler Kantonsveterinärin und zwei Polizeibeamte vor der Tür. Sie wollen die Präriehunde beschlagnahmen. Die seien nicht artgerecht gehalten und müssten raus aus der privaten Wohnung. Rossana S. gerät in Panik. «Gebt mir eine Busse, bestraft mich. Nur lasst mir meine Tiere», bettelt die Italienerin unter Tränen.
Die Besitzerin gibt der Kantonsveterinärin einen Beutel mit dem Futter mit, fleht sie an, gut auf die Tiere gut zu achten. Rossana macht sich grosse Sorgen und fragt, wann sie ihre Tiere zurückhaben können.
Wildtiere gehören nicht in Privatwohnung
Die Antwort: Sie habe mit der Wildtierhaltung gegen das Gesetz verstossen. Jetzt müsse sie die Konsequenzen tragen, so die Ordnungshüter. Dennoch: Rossana S. soll 50 Franken am Tag für Kost und Logis zahlen. Besuchen darf sie ihre Lieblinge nicht. Rossana S. wendet sich an eine Anwältin. Diese fordert Akteneinsicht und will wissen, warum die Tiere gehen mussten.
Dann kommt raus: Johnny und Mary sind längst tot. Sie haben nur zehn Tage in ihrem neuen Zuhause überlebt. «Die beiden bekamen Murmeltier-Futter und wurden in einem engen Käfig gehalten», so Rossana S., die bis heute nicht weiss, wo die Tiere zuletzt untergebracht waren. Noch immer hat sie keinen Obduktionsbericht.
Kantonsveterinär verteidigt die Massnahme
Kantonsveterinär Reto Wyss (51) verteidigt den Einsatz: «Präriehunde gehören, wie ihr Name schon sagt, in die freie Wildbahn oder in grosse Gehege. Sie kommen aus Nordamerika, leben in Kolonien und müssen ihre Höhle graben können.» Gegen das Tierschutzgesetz sei also nichts einzuwenden. «Wenn ein Missstand gemeldet wird, dann müssen wir von Amts wegen einschreiten», so Wyss weiter.
Dass es den beiden Präriehunden in der Privatwohnung gut gegangen sei, beruhe nur auf der Sicht der Halterin. Denn: «Beide Tiere litten an einer degenerativen Veränderung der Wirbelsäule. Die Präriehunde wären vermutlich auch bei ihrer Besitzerin recht bald gestorben. Der Tod der Präriehunde steht nicht im Zusammenhang mit der Beschlagnahmung.»
* Name geändert