Baby stirbt bei Leistenbruch-Operation in Luzerner Kantonsspital
Sind die Ärzte schuld, dass Ali keine zehn Wochen lebte?

Der kleine Ali war keine zehn Wochen alt, als sein Herz für immer aufhörte zu schlagen. Die Eltern geben einem Luzerner Operations-Trio die Schuld. Am Mittwoch müssen sich nun zwei Ärzte und eine Ärztin vor dem Luzerner Kriminalgericht verantworten.
Publiziert: 04:59 Uhr
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Aktualisiert: vor 10 Minuten
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Bei einer Operation wegen eines Leistenbruchs starb ein knapp 10 Wochen altes Baby. (Symbolbild)
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Luzerner Ärzte vor Gericht, weil ein Baby während einer Leistenbruch-Operation starb
  • Verdacht auf Williams-Beuren-Syndrom wurde vor OP nicht ausreichend berücksichtigt
  • Staatsanwaltschaft fordert teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren für Ärzte-Team
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Der Gang ans Kriminalgericht am Mittwoch ist für alle beteiligten Parteien sehr schwer. Auf der Anklagebank sitzen drei Ärzte des Luzerner Kinderspitals: Eine Chirurgin, ein Kardiologe und ein Anästhesist. Auf der anderen Seite sind die Eltern, die ihren Sohn bei der Operation eines Leistenbruchs verloren haben. Säugling Ali* starb am 4. November 2021 – knapp 10 Wochen alt. Die Opferfamilie ist überzeugt: Schuld daran sind die drei Ärzte.

Verdacht auf seltene Krankheit

Bereits vor Alis Geburt deuteten Untersuchungen auf mögliche gesundheitliche Probleme hin. Die Ärzte befürchteten ein Fehlbildungssyndrom. Als Ali am 27. August 2021 im Luzerner Kantonsspital das Licht der Welt erblickte, bestätigte sich dies. Die Ärzte diagnostizierten einen Herzfehler und Kleinwuchs. 

Aufgrund dieser Beobachtungen konsultierte das Spital einen Facharzt für medizinische Genetik. Der Fachmann äusserte den Verdacht auf eine seltene genetische Krankheit, das Williams-Beuren-Syndrom. Der Befund wurde protokolliert. Zu einem genetischen Test kam es aber noch nicht – obwohl man das bereits im Säuglingsalter hätte machen können.

Die beschuldigte Ärztin, eine Kinderchirurgin, plante für Ali eine Operation zur Behebung eines Leistenbruchs. Ob der Eingriff bei Ali zu dem Zeitpunkt schon sinnvoll war, ist umstritten. Dies muss das Gericht bewerten.

Eigentlich handelt es sich aber um eine Standardoperation mit kleinem Risiko. Wie es in der Anklage heisst, könnte aber gerade bei einem Säugling mit Williams-Beuren-Syndrom eine solche OP mit einem sehr hohen Risiko behaftet sein. Die Staatsanwältin wirft dem Luzerner Ärzte-Team vor, die OP vorgenommen zu haben, ohne diesen Verdacht genügend gewürdigt zu haben.

Komplikationen während der OP

Die Operation erfolgte am 4. November 2021. Bereits kurz nach der Einleitung der Narkose kam es zu einem Blutdruckabfall. Ali musste wiederbelebt werden. Der Untersuch danach zeigte wieder normale Werte. Darum wurde nur wenige Minuten später erneut die Narkose durch Inhalation durchgeführt. Als der Blutdruck erneut zusammenbrach, stoppten die Ärzte die OP kein zweites Mal, sondern wechselten auf eine andere Variante der Narkose. 40 Minuten nach dem zweiten OP-Beginn musste Ali erneut wiederbelebt werden. Eine Stunde später stellten die Ärzte den Tod des kleinen Patienten fest.

Laut dem Obduktionsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin ist die Todesursache akutes Herz-Kreislaufversagen – wegen Alis Grunderkrankung am Williams-Beuren-Syndrom. Die Staatsanwaltschaft und die Privatkläger werfen dem Ärzte-Team vor, Alis Tod in Kauf genommen zu haben, weil sie trotz des Verdachts auf die Krankheit und trotz des ersten Kreislaufzusammenbruchs erneut zur Operation angesetzt haben.

Spital: «Fall hat uns tief bewegt»

Auf Blick-Anfrage schreibt das Luzerner Kantonsspital: «Dieser tragische Fall hat uns tief bewegt. Er bestärkt uns darin, auch weiterhin mit höchster Sorgfalt und Engagement für die bestmögliche Versorgung und Sicherheit unserer kleinsten Patientinnen und Patienten einzustehen.» Es sei eine ausserordentlich belastende Situation für alle Beteiligten.

Der Sprecher betont: «Der Verlust eines Kindes ist ein unermessliches Leid. Wir sprechen den Angehörigen unser tiefes Mitgefühl aus.»

Müssen die Ärzte hinter Gitter?

Vor dem Prozess reden weder die Eltern noch die beschuldigten Ärzte mit den Medien. Ob sich die Ärzte vor Gericht äussern, ist noch unklar. Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft haben sie vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Einzig der Anästhesist hat eineinhalb Jahre nach Alis Tod die Fragen der Untersuchungsbehörden beantwortet. Die Anklage will eine Verurteilung für fahrlässige schwere Körperverletzung und eventualvorsätzliche Tötung.

Die geforderten Strafen sind hart: Die Staatsanwältin sieht eine teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren angemessen. Das heisst: Die Ärztin und die beiden Ärzte müssten bei einer entsprechenden Schuldigsprechung für sechs Monate hinter Gitter, die verbleibenden zweieinhalb Jahre Gefängnis würden bedingt ausfallen. 

* Name geändert

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