Der Hexenprozess gegen Anna Göldi von 1782 ist einer der berühmtesten Justizfälle in der Geschichte unseres Landes und spielte sich in Glarus ab – praktisch vor meiner Haustür. Ich fand die Geschichte höchst seltsam: Gemäss Anklage soll Anna Göldi das achtjährige Kind ihres Dienstherrn Doktor Tschudi verzaubert haben, sodass dieses über 100 Stecknadeln gespuckt haben soll. Wie kamen gebildete Personen wie Ärzte und Geistliche auf eine so absurde Geschichte, fragte ich mich. Und was hat das mit der Anschuldigung zu tun, Anna Göldi habe mit ihrem Dienstherrn Doktor Tschudi «verbotenen fleischlichen Umgang» gehabt, wie Ehebruch damals hiess? Ein damals schwerwiegender Straftatbestand.
Mir stellten sich Fragen, auf die ich als neugieriger Journalist und ausgebildeter Jurist mit Vorliebe für Straffälle Antworten finden wollte. Dieser mysteriöse Gerichtsfall hat mich so fasziniert, dass ich mich in die 700 Protokollseiten der Gerichtsakten stürzte. Daraus resultierte 2007 mein Buch «Der Justizmord an Anna Göldi».
Für die Männer war sie eine Bedrohung
Damit war für mich der Fall aber nicht erledigt. Das Schicksal der jungen Frau hat mich erschüttert. Der Fall Göldi strotzt nur so von schreiendem Unrecht. Aus damaliger wie aus heutiger Sicht. Es geht um eine zwar einfache Magd, die aber wegen ihrer Klugheit und wahrscheinlich auch ihrer Schönheit zur Bedrohung für die mächtigen Männer im Land Glarus wird. Darum wurde sie Opfer eines Justizmordes. Darum wurde sie zum Schweigen gebracht!
Als Jurist, aber auch als Mensch, konnte ich dieses Unrecht nicht hinnehmen. Anna Göldi musste rehabilitiert werden! Was der Glarner Landrat 2008 erst nach langen Diskussionen tat. Nun heisst mein anderes Buch «Anna Göldi – Hinrichtung und Rehabilitierung».
Immerhin, der Göldi-Prozess hatte enorme Auswirkungen auf die Justizentwicklung in unserem Land. Nicht zuletzt deshalb wurden im 19. Jahrhundert Forderungen nach Abschaffung der Folter erhoben und es etablierte sich ein humaneres, auf rechtsstaatliche Prinzipien gründendes Gerichtsverfahren mit dem verbrieften Recht auf Verteidigung und der Unschuldsvermutung für alle Angeklagten, so lange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind.
Das Unrecht im Fall Göldi ist exemplarisch und muss uns aufrütteln. Denn Willkür und Machtmissbrauch sind heute noch verbreitet.