Darum gehts
- Jessica P. wurde in arrangierter Ehe zur Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung ausgenutzt
- Die Polizei dokumentierte Jessicas emotionale Belastung während der Trennung
- Die Ehe dauerte nur drei Monate, neun Monate Fernbeziehung gingen voraus
Spricht Jessica P.* (27) über ihre Ehe, wird sie traurig. Dieser Bund dauerte zwar nur drei Monate, nahm der Pharmaassistentin aber jegliche Lebensfreude. Zu Blick sagt die Zürcherin: «Als ich erfuhr, dass ich nicht geliebt, sondern nur ausgenutzt werde, ging vieles in mir kaputt.»
Das Abenteuer Ehe begann für P. aus Schweizer Sicht eher ungewöhnlich: Jessica P. verspürte vor zwei Jahren den Wunsch nach Ehemann und Kindern und teilte dies ihren Eltern mit. «Ich handelte danach, was mir von Geburt an eingetrichtert wurde: Keine freie Partnerwahl, die Familie sucht meinen Zukünftigen aus.» Die Schweizerin hat tamilische Wurzeln und stammt aus Sri Lanka. In diesem Umfeld sind arrangierte Ehen gängig, besonders in stark traditionellen Familien. Sommerferien werden oft genutzt, um Kinder mit Partnern aus der Heimat bekannt zu machen.
Im Fall von Jessica P. ging alles sehr schnell. Ihr wurde ein potenzieller Kandidat anhand von Fotos vorgestellt: May G.*, acht Jahre älter, aus Sri Lanka. «Ich fand ihn süss und freute mich, als es hiess, er sei gläubiger reformierter Christ, wie ich, und ein Familienmensch.» Sie stimmte zu, ihn näher kennenzulernen. Während der Mann von Anfang an von Liebe sprach, hielt sie sich zurück. «Ich wartete darauf, dass sich Gefühle entwickelten.»
Doch in der neunmonatigen Kennenlernzeit war das kaum möglich. «Ich hatte Druck – familiär und kulturell. Dieser Druck war täglich so präsent, dass ich keinen Ausweg sah», sagt Jessica P. «Ich hatte das Gefühl, wenn ich Nein sage, enttäusche ich nicht nur meine Eltern, sondern beschäme auch die ganze Familie. Ich fühlte mich verpflichtet, diese Bindung einzugehen, dabei sträubte sich mein Inneres dagegen.»
«Ich begann, ihn zu hassen»
Schliesslich reiste G. in die Schweiz. Hier trieb das Paar die Ehevorbereitung voran. «Er zog bei mir und meinen Eltern in ihre Eigentumswohnung ein und spielte zunächst den perfekten Ehemann und Schwiegersohn.» Im März 2024 heirateten die beiden standesamtlich, zwei Wochen später kirchlich.
Doch seine Anwesenheit machte etwas mit Jessica P.: «Er begann, ständig anzurufen, kontrollierte mich. Beschwerte sich, dass ich nicht für ihn koche. Dabei war ich bei der Arbeit, wo es damals viel zu tun gab. Auch wollte er ständig Zeit mit mir verbringen, ich aber wollte auch mal Zeit alleine oder mit meinen Freunden.» Das Resultat: «Ich begann, ihn zu hassen.»
Dieses Gefühl verstärkte sich, nachdem ihr Mann kurz nach der Hochzeit eine ungewöhnliche Mischung als Konfrontation und Distanz wählt: «Nach einem Streit blockierte er mich auf seinem Telefon, blieb aber noch bei meinen Eltern und mir wohnen. Er beschimpfte mich und sie, wollte mir aber gleichzeitig körperlich näher kommen, bedrängte mich sogar.»
Die Papierli-Macherin
Nachdenklich erklärt Jessica P.: «Er ging wohl davon aus, dass ich aufgrund unserer Kultur kaum die Scheidung einreiche.»
Zunächst behielt May G. recht: Trotz widersprüchlicher Signale hielt P. an der Ehe fest. Was die Zürcherin zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Sie wurde von Anfang an als Papierli-Macherin missbraucht. Das heisst: Sie sollte ihrem Mann lediglich eine Schweizer Aufenthaltsbewilligung ermöglichen. «Er selbst bestätigte dies mir gegenüber.»
Für die gläubige Christin brach eine Welt zusammen. «Eine Ehe ist doch etwas Heiliges, etwas Intimes zwischen zwei liebenden Menschen. Ich fühlte mich benutzt, emotional entwertet – wie Müll behandelt.»
P. reichte die Scheidung im Juni 2024 ein. Doch May G. stellte sich zunächst quer, übte Druck auf P. aus und blieb in der Eigentumswohnung ihrer Eltern wohnen, um die Aufenthaltsbewilligung nicht zu verlieren.
Ihre Familie stellte sich auf die Seite des Mannes. Eine Trennung? Undenkbar. Doch P. liess nicht locker. «Plötzlich hiess es von meiner Familie: Führe eine Scheinehe, bis er seine Papiere sicher hat.»
Der Polizeieinsatz
Doch das wollte P. nicht. Daraufhin erhöhte ihr Mann den Druck. «Diese seelische Erpressung war für mich sehr belastend.» Das Resultat: Sie wurde depressiv und hatte Panikattacken.
Am 17. September 2024 wollte Jessica P. ihre elterliche Wohnung vorübergehend verlassen, weil ihr Ex aus Trotz nicht auszog. Sie musste jedoch von der Kantonspolizei Zürich unterstützt werden. In einem Rapport hält diese fest: «Bei unserem Eintreffen konnten wir eine sichtlich aufgelöste Jessica P. antreffen. Sie zitterte und hatte verweinte Augen.» Die Polizei bat ihren Ex, in ein anderes Zimmer zu gehen, damit P. ihre Sachen in Ruhe packen konnte.
Die Kantonspolizei vermutete laut Rapport, dass «ihr Mann versucht, die Ehe weiterlaufen zu lassen, um seinen Aufenthaltstitel zu behalten». Eine Blick-Anfrage liess May G. bis zur Publikation unbeantwortet.
Eine Unterkunft konnte die Polizei Jessica P. jedoch nicht anbieten. Der Grund: «Da in der Ehe keinerlei Gewalt angewendet wurde, ist es Jessica P. unmöglich, in einem Frauenhaus unterzukommen.»
Viel Unterstützung für Jessica P.
Zu ihrem Glück fand P. anderweitig Hilfe: Sie hielt sich vermehrt bei einer Freundin auf, bis ihr Ex die Wohnung ihrer Eltern verliess. Sie telefonierte täglich über Stunden mit der Dargebotenen Hand und wandte sich an die Fachstelle Zwangsheirat. Auch begab sie sich in psychiatrische Behandlung. P. ist sich sicher: «Ohne die Unterstützung all dieser Menschen würde ich jetzt wohl kaum hier stehen.»
Heute ist Jessica P. eine geschiedene Frau. Sie wohnt bei ihren Eltern und pflegt wieder ein gutes Verhältnis zu ihnen. «Inzwischen akzeptieren und unterstützen sie meine Entscheidung.»
Was P. schmerzt: Ihr Ex wehrt sich bis heute gegen die Wegweisung aus der Schweiz. Sie selbst ist inzwischen in einer neuen Partnerschaft. «Es ist eine gesunde Beziehung, ich lebe freier und fange mein Leben neu an.» Ihr Wunsch: «Ich hoffe, dass sich auch andere Frauen Hilfe holen. Es ist nie zu spät!»
* Namen geändert