Anklage gegen den Schützen vom Niederdorf
Neonazi Sebastien N. drückte «bewusst und gewollt ab»

Sein Opfer überlebte nur mit Glück. Jetzt liegt die Anklageschrift gegen den mutmasslichen Nazi-Terroristen Sebastian N. vor.
Publiziert: 10.10.2013 um 16:56 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:31 Uhr
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Klischee-Neonazi Sebastian N. trägt viele einschlägige Tattoos am Oberkörper.
Von Adrian Schulthess

Als der Neonazi Sebas­tian N.* (26) seine Pistole zieht, steht er seinem 27-jährigen Opfer Auge in Auge gegenüber. Aus «einer Distanz von maximal 60 bis 80 cm» schiesst er ihm in den Oberkörper. So steht es in der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft IV, die BLICK vorliegt.

Die Schiesserei im Zürcher Niederdorf wird voraussichtlich im März am Bezirks­gericht Zürich verhandelt. Staatsanwältin Claudia Kasper hat N. wegen versuchter vorsätzlicher Tötung angeklagt. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Es wäre nicht seine erste Freiheitsstrafe. Im Januar 2012, vier Monate vor der Abrechnung im Niederdorf, kassierte er 39 Monate Gefängnis. Für Dutzende von Delikten, darunter Verstösse gegen das Waffengesetz, Rassendiskriminierung, Körperverletzung. N. zieht den Fall ans Bundesgericht – und kommt frei. Der Richter ordnet keine Sicherheitshaft an. Ein fataler Fehler (BLICK berichtete).

In der Nacht auf Samstag, 5. Mai 2012, in der Double-U-Bar im Niederdorf geraten N. und sein Opfer aneinander. Der Streit verlagert sich vor die Double-U-Tür, dann vor die rund 50 Meter entfernte McDonald’s-Filiale.

N. hat eine Waffe in den Ausgang mitgenommen. Die Astra 2000, eine Taschenpistole aus spanischer Produk­tion, Kaliber 6.35, trägt er lässig im Hosenbund. Er zielt. Drückt ab. Laut Staatsanwaltschaft schoss er «bewusst und gewollt» in den Oberkörper des Kontrahenten. Die Kugel bohrt sich auf der Höhe der vierten Rippe in dessen Brustkorb, geht durch die Lunge, bleibt unterm Schulterblatt stecken. Das Opfer hätte sterben können.

Ist das N. in diesem Moment klar? Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass er den Gegner töten wollte oder dessen Tod zumindest in Kauf nahm. Bekannten soll er mitgeteilt haben, er bedauere, dass der andere nicht tot sei. N. flüchtet. Schiesst aus einer Distanz von ein paar Metern ein zweites Mal – daneben.

Einen Tag nach der Schiesserei setzt sich N. im ICE nach Hamburg ab. Er pflegt Kontakte zur dortigen Neonazi-Szene, war am Aufbau des Glatzen-Schlägertrupps «Weisse Wölfe Terrorcrew» beteiligt.

Als sein Zug am Morgen des 7. Mai 2012 im Bahnhof Hamburg-Harburg einfährt, empfängt ihn die Polizei. Die Astra trägt er noch bei sich, im Magazin stecken Patronen. Knapp zwei Monate später wird er in die Schweiz ausgeliefert. Er gesteht die Tat.

Gegen N. stehen weitere Vorwürfe im Raum: Die deutsche Bundesanwaltschaft hält ihn für den Anführer einer Neonazi-Terrorzelle, eines sogenannten Werwolf-Kommandos. Im Juli durchsuchten Schweizer Polizisten das Haus eines ehemaligen Arbeitgebers (54) im Kanton Aargau, die Zelle eines verurteilten Hochstaplers (40) und jene von N. selbst. Der Vorwurf: Er habe mit Nazi-Kameraden «das politische System der Bundesrepublik Deutschland beseitigen» wollen. Das Verfahren ist hängig.

 *Name der Redaktion bekannt.

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