6 Todesopfer bei 3 Abstürzen in 30 Stunden am Monte Rosa
«Ich bin der Letzte, der sie lebend gesehen hat»

Zwei der am Monte-Rosa-Massiv verunglückten Alpinisten hätten gerettet werden können, aber sie gingen weiter. Der Zermatter Retter erzählt vom tragischen Ablauf.
Publiziert: 29.08.2016 um 23:57 Uhr
|
Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:38 Uhr
1/4
Mit zu einem Y erhoben Armen signalisiert einer der drei deutschen Alpinisten auf dem Zwillingsgletscher dem Helipiloten, dass sie Hilfe brauchen.
Foto: Matthias Taugwalder
Von Cyrill Pinto, Guido Felder, Beat Michel

So schön das Monte-Rosa-Massiv ist, so tödlich sind seine Gipfel. Sechs Alpinisten sind innert 30 Stunden im ewigen Eis zu Tode gestürzt. Am Sonntag gegen sieben Uhr fielen drei Schweizer an der Zumsteinspitze (4563 m) auf der italienischen Seite rund 800 Meter in die Tiefe, als sie auf dem Weg zum höchsten Schweizer Berg, der Dufourspitze (4634 m), waren. Die drei Bergsteiger hatten eine Wechte betreten, die unter dem Gewicht brach. Fünf Kollegen konnten in Sicherheit gebracht werden.

Foto: BLICK

Wenige Stunden später, gegen 14 Uhr, rettete die Air Zermatt am Castor (4228 m) einen deutsche Alpinisten, der an Höhenkrankheit litt. Seine beiden deutschen Kollegen setzten den Aufstieg fort, obwohl die Retter davon abrieten. Gestern früh fand man die Deutschen auf 3800 Metern auf italienischem Gebiet – tot. Sie waren auf einer Eisplatte ausgerutscht, mehrere Hundert Meter abgestürzt. Bergrettungsspezialist Robert Andenmatten: «Ich bin wohl der Letzte, der die beiden lebend gesehen hat.»

Das Massiv zieht Massen an

Ein weiterer Alpinist verunglückte gestern Mittag beim Abstieg vom Castor zum Felikjoch auf Schweizer Boden. Er gehörte zu einer Fünfergruppe aus den Niederlanden und war offenbar als Einziger nicht angeseilt. Nachdem er gestolpert war, stürzte er in die Tiefe. Jede Hilfe kam zu spät. Das Monte-Rosa-Massiv gilt als Eldorado für Alpinisten. Bergführer Bruno Hasler, Fachleiter Ausbildung beim Schweizer Alpenclub: «Das Massiv zieht Massen an. Nirgends ist es so einfach, Viertausender zu sammeln. Bergführer werben damit, Alpinisten in einer Woche auf bis zu elf Viertausender zu führen.» Besonders beliebt sind die Spaghetti-Touren, bei denen in den Hütten auf italienischer Seite feine Teigwaren serviert werden. Doch die Touren bergen grosse Gefahren. Es gibt keine ideale Sicherung. «Geht man ohne Seil, riskiert einer, der hinfällt, einen Absturz. Bindet man sich an, kann es einen stürzenden Kollegen mitreissen.»

Die drei Schweizer, die am Sonntag verunglückten, sind Walliser aus der Region Siders. Wie ein Bekannter sagt, waren die Verunglückten die letzten der Gruppe. Es handelt sich um den Architekten Raphaël B.* († 49) aus Mollens, den Versicherungsfachmann Daniel S.* († 35) aus Veyras und den Unternehmer Frédéric Z.* († 48), ebenfalls aus Mollens.

Wechten können jederzeit abbrechen, das Klima hat keinen Einfluss

Ihre Leichen konnten noch nicht geborgen werden. Der italienische Bergretter Simone Bobbio: «Eine Bergung ist zu gefährlich. Die Leichen wurden von Geröll verschüttet.» Weil noch mehr herunterkommen könnte, müsse man warten, bis es kälter werde. «Die drei sind auf eine aussergewöhnlich grosse Wechte geraten», sagt Kurt Winkler, Lawinenwarner beim Institut für Schnee- und Lawinenforschung Davos GR. Wechten entstehen, wenn der Wind den Schnee hinter eine Geländekante transportiert und ablagert. Winkler: «Dieses hochgelegene Plateau am Monte Rosa, wo der Wind darüberfegt, ist prädestiniert dafür.» Wechten können jederzeit abbrechen, das Klima hat keinen Einfluss. Die Schneeablagerungen sind daher heimtückisch und oft nur von unten zu sehen. Winkler warnt: «Wenn man darüberläuft, ist die wahre Grösse der Wechte meistens nicht zu erkennen.»

* Namen der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?