Als sie die Welle sieht, greift Milanka Fankhauser zum Fotoapparat. Sie kommt nicht mehr dazu, ihn zu benutzen. Es ist der 26. Dezember 2004. Die damals 38-Jährige aus Dotzigen BE sitzt im Strandhotel Sofitel am Zmorgetisch beim Pool.
Sohn Alessandre (damals neun Jahre alt) spielt am Strand. Die beiden verbringen die Feiertage mit der Familie von Fankhausers Schwester in Khao Lak in Thailand. Mit dabei ist auch Grossmutter Niki († 61).
Fankhauser ist mit Essen fertig und wartet auf ihre Mutter und ihre Nichte Anita († 2), die auf die Toilette gegangen sind. Als Milanka Fankhauser sich zum Meer zurückdreht, ist die Welle plötzlich riesig. Sekunden später wird die Schweizerin vom Tsunami mitgerissen. «Ich wurde durchgerüttelt wie in einer riesigen Waschmaschine», sagt sie.
Über 230 000 Tote
Die Flutwelle im Indischen Ozean reisst am 26. Dezember 2004 über 230 000 Menschen in den Tod. Fankhauser hat Glück: Jemand zieht sie auf eine Hotelterrasse im zweiten Stock.
Sie sucht verzweifelt nach ihrer Familie. Doch wo sie einen Tag zuvor zusammen Weihnachten gefeiert hatten, ist nur noch Zerstörung. Schliesslich findet sie ihre Schwester, fühlt sich aber schwindlig: «Ich konnte kaum atmen, weil ich Unmengen Dreck und Kies geschluckt hatte.»
Als sie kurz davor ist, in Ohnmacht zu fallen, verpasst ihr die Schwester eine kräftige Ohrfeige und sagt: «Du gehst jetzt nicht weg!»
Ihr Sohn Alessandre und sein Cousin können sich an einem Surfbrett und einem Schwimmring festhalten. Sie überleben. «Als die Welle zurückging, sah ich leblose Körper am Boden liegen», sagt Alessandre Kurti.
Seine Grossmutter Niki und seine kleine Cousine Anita bleiben verschwunden. Der Logistikerlehrling sitzt mit seiner Mutter in der Stube. Sie sagt: «Wir sprechen fast nie über den Tsunami. Als wir heute darüber redeten, sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte.»
Anita wäre jetzt zwölf
Monate nach der Katastrophe kann die Familie die Leiche von Grossmutter Niki identifizieren. Die Hoffnung, die zweijährige Anita lebend zu finden, gibt sie nicht auf. Bis heute nicht. Anita wäre jetzt zwölf Jahre alt. «Meine Schwester und mein Schwager reisten immer wieder nach Khao Lak und suchten nach ihr», sagt Milanka Kurti Fankhauser. «Sie setzten einen Finderlohn aus.»
Zwei Mal zeigt man den Eltern ein falsches totes Kind, behauptet, es sei Anita. Nach sieben Monaten schicken ihnen die thailändischen Behörden einen Kinderkörper, sagen, laut DNA-Analyse sei das Anita. Die Eltern glauben es nicht. «Es war nur ein Skelett», sagt Milanka Fankhauser, «ohne Hände und Füsse.
Wir haben es beerdigt, aber die Familie besucht das Grab nie. Die Hoffnung, dass Anita noch lebt, stirbt nicht.»