BLICK: Herr Levrat, wann haben Sie sich zuletzt über einen schlechten Service-public geärgert?
Christian Levrat: Diese Woche! Mein Postfach war voll, und es fehlte die Notiz, dass ein Teil meiner Post anderswo gelagert wird. Diese blieb tagelang liegen.
Steigende ÖV-Preise, weniger Poststellen, überhöhte Roaming-Gebühren: Spüren Sie den Unmut der Bevölkerung?
Ja, dieser Unmut ist absolut nachvollziehbar. Ich habe während Jahren als Post-Gewerkschafter – auch mit zwei Volksinitiativen – gegen die Liberalisierung der Post gekämpft. Und als Präsident der Gewerkschaft Kommunikation ebenso gegen die Privatisierung der Swisscom. Ich kenne und verstehe den Unmut der Bevölkerung. Und erst recht jenen der Pöstler, die Lust verspüren, ihrem Management eins auszuwischen.
Dann stehen Sie bei der Service-public-Initiative auf der falschen Seite!
Eben nicht! Die Initiative führt weder zu tieferen Handygebühren noch zu günstigeren Pakettarifen noch zu besseren Arbeitsbedingungen. Im Gegenteil, ein Ja zur Initiative wäre ein Eigentor erster Güte und würde die Situation verschlimmern.
Wieso das?
Die Bundesbetriebe dürfen keine Gewinne mehr erzielen, und die einzelnen Bereiche dürften sich nicht mehr quersubventionieren. Die Investitionstätigkeit wird gehemmt – und das finanzielle Korsett wird so eng, dass die rentablen Teile ausgelagert und privatisiert werden. Die Initiative führt in die Katastrophe. Im Endergebnis führt sie dazu, dass Bundesbetriebe zerschlagen werden.
Sie malen schwarz. Das Parlament müsste einer Zerschlagung zustimmen, was sehr fraglich ist.
Da wäre ich mir nicht so sicher. Das ist ein gefundenes Fressen für die Bürgerlichen, die derzeit den Staat plündern und nicht genug kriegen können. Schauen Sie sich die neuen Mehrheitsverhältnisse und die Entscheide der vergangenen Monate an. Die Bürgerlichen würden sofort die rentablen Teile verkaufen, und die öffentliche Hand dürfte nur noch die Grundversorgung anbieten und finanzieren. Attraktiv ist das nicht, denn was bringt die Beteiligung an Unternehmen, die keine Gewinne machen und kein Geld ausschütten dürfen?
Sie betreiben Angstmacherei. Mit dem Gewinn- und Quersubventionierungsverbot wollen die Initianten doch nur, dass das Geld nicht in die Bundeskasse fliesst, sondern im Unternehmen bleibt.
In der Initiative steht klar, dass andere Verwaltungseinheiten – so werden die Sparten in den Bundesbetrieben genannt – nicht quersubventioniert werden dürfen. Das bedeutet: Mit den Gewinnen des SBB-Fernverkehrs darf der Regionalverkehr nicht mehr finanziert werden. Die Randregionen wären die Verlierer. Oder die Gewinne des Swisscom-Mobilfunks dürfen nicht für die Erstellung des Glasfasernetzes verwendet werden. Die Initianten widersprechen mit Beteuerungen ihrem eigenen Initiativtext.
Der Bund profitiert jährlich von rund 1,3 Milliarden Franken, die ihm aus den Bundesbetrieben zufliessen. Geld, das man für Preissenkungen bei der SBB, Swisscom oder Post nutzen könnte.
Fehlt dem Bund dieses Geld, muss er Leistungen abbauen oder die Steuern erhöhen. Wen trifft es? Den öffentlichen Verkehr, die Bildung, die Landwirtschaft und die Entwicklungshilfe. Das macht keinen Sinn.
Schlagendes Argument der Initianten ist die Beschränkung der Managerlöhne. Der Swisscom-Chef kassiert 1,8 Millionen, die Chefs von Post und SBB rund eine Million Franken. Mit Ihrem Nein verteidigen Sie diese Gehälter.
Ganz und gar nicht. Ich fordere schon lange, dass diese Kaderlöhne gekappt werden. Die zuständige Bundesrätin Doris Leuthard und Finanzminister Ueli Maurer müssen diesen Auswüchsen endlich einen Riegel schieben. Das Problem der Initiative ist, dass sie es auf das ganze Lohngefüge abgesehen hat und auch die Löhne von 8000 anderen Angestellten senkt – damit kommen die übrigen, tieferen Löhne unter Druck.
Die Initianten wirken als Robin Hoods glaubwürdig. Selbst 70 Prozent der SP-Anhänger wollen der Initiative zustimmen, wie eine Umfrage ergab. Was machen Sie falsch?
Ich gebe zu: Ich habe die Initiative bisher unterschätzt. Die Umfragewerte haben mich erschreckt, deshalb werde ich in den verbleibenden Wochen mit voller Kraft für ein Nein kämpfen. Die Linke als Verfechterin des Service public steht in der Pflicht, auf die Gefahren der Initiative hinzuweisen. Wir müssen die Initiative bodigen.
Ein klares Ja gibt es Stand heute beim Asylgesetz. Wie erklären Sie sich, dass die SVP keine Kampagne macht?
Die SVP ist auf verlorenem Posten – und sie weiss es. Mit gesundem Menschenverstand kann man ja nicht gegen eine Beschleunigung der Asylverfahren kämpfen. Eine Beschleunigung ist gut für die Schweiz und gut für die Asylbewerber. Die SVP-Politiker haben offenbar keine Lust, ihre Märchen von Enteignungen und Gratisanwälten zu erzählen. Mit diesen Argumenten kommen sie überall, wo sie auftreten, total flach heraus.
Die SVP gibt sich also kampflos geschlagen?
Das Referendum zu ergreifen, war ein Wahlkampfvehikel. Und mit dem Wunsch verbunden, dass die Situation im Asylbereich eskaliert und die Behörden überfordert sind. Dies ist nicht eingetroffen.
Es wäre der zweite Sieg Ihrer Bundesrätin in einem SVP-Kerndossier innert drei Monaten.
Es wäre ein wichtiger Sieg. Er würde zeigen, dass die Schweizer von der SVP-Strategie müde geworden sind, Ausländerthemen nur zu bewirtschaften und nicht lösen zu wollen.
In der Kritik steht SVP-Bundesrat Guy Parmelin wegen der Bauland-Affäre. Sie kritisierten ihn scharf – warfen ihm eine «unverschämte Selbstbedienungsmentalität» vor. Damit sind Sie ziemlich alleine in der Romandie. Wieso stehen die Romands geschlossen hinter Parmelin?
In der Westschweiz gibt es einen starken Reflex: Wenn ein Welscher von Deutschschweizer Medien angegriffen wird, fühlt sich die Romandie zuerst als Landesteil angegriffen. Sogar wenn es ein SVP-Bundesrat ist. Eine starke Solidarität ist typisch für eine Minderheit. Für mich ist der Support für Parmelin unverständlich. Gewisse Politiker – etwa Christophe Darbellay – nutzen die Affäre nun, um sich mit den Bauern gut zu stellen. Schliesslich will er in die Walliser Regierung gewählt werden. In der breiten Bevölkerung ist die Stimmung eine andere, da wird Parmelin scharf kritisiert.