Wirbel um Grossüberbauung
Hat Bern wertvolles Land verschleudert?

Der Kanton Bern soll ein Grundstück weit unter Marktwert an die Stadt Bern verkauft haben. Das sagt die Geschäftsprüfungskommission des Kantonsrats. Die Regierung wehrt sich.
Publiziert: 25.10.2021 um 12:51 Uhr
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Blick auf das Viererfeld: Hier soll eine Grossüberbauung entstehen. Der Kanton soll der Stadt Bern das Land unter Marktwert verkauft haben.
Foto: Keystone

Der Kanton Bern hat der Stadt Bern ein Grundstück möglicherweise weit unter dem Marktwert verkauft. Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rats zweifelt nach einer Analyse des Geschäfts jedenfalls, dass ein Marktwert zum Zug kam. Und das wäre wohl nicht legal – denn das Gesetz verlangt bei solchen Landgeschäften den Marktwert.

Bei der Transaktion geht es um den Verkauf eines 84'482 Quadratmeter grossen Grundstücks sowie um die Abgabe eines 78'210 Quadratmeter grossen Grundstücks auf dem sogenannten Viererfeld im Baurecht an die Stadt Bern. Auf dem Viererfeld soll eine Überbauung für rund 3000 Menschen entstehen.

Stadt zahlte 51 Millionen

Der Kanton Bern erhielt für das verkaufte Grundstück 51,1 Millionen Franken. Das zweite Grundstück, das während der ganzen Baurechtsdauer von 40 Jahren als Grünfläche erhalten bleiben muss, gab der Kanton unentgeltlich ab.

Laut dem GPK-Bericht ging der Kanton Bern von einem Quadratmeterpreis von 1000 Franken für nicht erschlossenes Bauland aus und kam auf einen Wert von 107 Millionen Franken für das ganze Viererfeld. Weil die nur die Hälfte des Landes verkauft wurde, verlangte der Kanton von der Stadt Bern 53,3 Millionen. Schliesslich einigte man sich auf 51,1 Millionen.

Marktwert soll bis zu doppelt so hoch sein

Die Finanzkontrolle des Kantons schätzt den Wert des Landes – nach Abschöpfung des Mehrwerts – jedoch auf zwischen 135 und 336 Millionen Franken. Sie ging von höheren Quadratmeterpreisen aus.

Die GPK sagt nun, ob der Kanton einen angemessenen Preis bei der Transaktion erzielt habe, lasse sich nicht klar mit Ja oder Nein beantworten. Es gebe aber «zahlreiche Anzeichen, dass der Kanton Bern das grössere Grundstück auf dem Viererfeld nicht zu einem Marktpreis verkauft hat».

Keine Transparenz

Die GPK des bernischen Grossen Rats wurde in dieser Angelegenheit aktiv, weil die kantonale Finanzkontrolle 2018 bei der Prüfung der Kantonsrechnung auf eine unvollständige Dokumentation zur Grundstückstransaktion stiess. Das geht aus dem Bericht hervor. Die Unterlagen, die danach zum Vorschein kamen, enthielten nach Einschätzung der Finanzkontrolle Widersprüche und Unklarheiten.

Die GPK spricht auch von fehlender Transparenz bei diesem Geschäft. Beispielsweise habe der Kanton Bern auf das Erstellen eines Verkehrswertgutachtens verzichtet. Und im Regierungsratsbeschluss zum Verkaufsentscheid seien ausser Verkaufssumme und Höhe der Mehrwertabschöpfung keine weiteren Zahlen vorhanden.

Als die Finanzkontrolle 2019 die Transaktion vertiefter habe überprüfen wollen, habe die Bau- und Verkehrsdirektion (BVD) zunächst über keine weiteren Unterlagen als den Regierungsratsbeschluss sowie den Verkaufsrechts- und Baurechtsvertrag vorlegen können.

Kanton und Stadt reagieren verwundert

In ihrem Bericht gibt die GPK eine Stellungnahme der Kantonsregierung wieder. Demzufolge findet der Regierungsrat, erst die Zukunft werde zeigen, ob der Verkaufspreis des Grundstücks zu tief gewesen sei. Die hohen Vorinvestitionen, die zu tätigen seien, die lange Zeitdauer von voraussichtlich rund 20 Jahren bis zur Überbauung und die mit dem ganzen Vorhaben verbundenen Risiken würden auch einen privaten Investor vorsichtig agieren lassen.

Für den Stadtberner Finanzdirektor Michael Aebersold ist die Kritik noch aus einem anderen Grund «unverständlich». Es gebe nicht nur den gesetzlichen Auftrag, bei solchen Landgeschäften Marktpreise zu erzielen, so Aebersold gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Laut Kantonsverfassung müssten sich Kanton Bern und dessen Gemeinden auch dafür einsetzen, dass alle Menschen zu tragbaren Bedingungen wohnen könnten. Ebenfalls in der Kantonsverfassung stehe, dass Kanton und Gemeinden den preisgünstigen Wohnungsbau zu fördern hätten. (SDA/sf)

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