Reiche Geschichte der gelben Busse
Wie das Postauto zum Schweizer Mythos wurde

Ob Kinderlied, Kunst oder Kurzgeschichte: Der Mythos Postauto ist in vielen Schweizer Kulturgütern verewigt und wird den aktuellen Skandal überleben.
Publiziert: 26.02.2018 um 07:45 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:55 Uhr
Nostalgie in Gelb: Das Postauto ist seit Jahrzehnten ein Schweizer Kulturgut.
Foto: KEY
Daniel Arnet, Benno Tuchschmid

Gemälde «Gotthardpost»

«Gotthardpost» von Rudolf Keller
Foto: Keystone

Der Zürcher Maler Johann Rudolf Koller (1828–1905) erlebt die ab 1919 aufkommende motorisierte Autopost nicht mehr. Doch er arbeitet in seiner Zeit am Mythos des gelben Riesen: Das gut ein Quadratmeter grosse Ölbild von 1873 ist eine Ikone der Schweizer Post schlechthin.

Peter von Matt sieht im Gemälde, das heute im Kunsthaus Zürich hängt, die «Verquickung von Fortschrittsglaube und Konservatismus».

Dreiklang aus Rossinis «Wilhelm Tell»

1829 hat die Oper «Wilhelm Tell» – die letzte des italienischen Komponisten Gioachino Rossini (1792–1868) – in Paris Premiere. Fast 100 Jahre später, ab 1923, kommt der Dreiklang aus dem Andante der -Ouvertüre zu ungeahnten Ehren: als Warnton der Postautos auf den unübersichtlichen Bergstrecken. Das Posthorn schmettert die Tonfolge cis-e-a in A-Dur mit 100 Dezibel an die Felswände. In der Partitur von Rossini stehen die Töne h, d und g in G-Dur.

Kinderlied «Tü-Ta-To Postauto»

Foto: Philippe Rossier

Der Schweizer Dialektforscher Christian Schmid (70, «Schnabelweid») bestimmt das Alter dieser Verse und erklärt die dialektal unterschiedlichen Folgereime:

Ein gewisses Alter hat meiner Meinung nach nur der Reim «Tü-ta-to /Postauto» beziehungsweise «Ti-ta-to / Postauto» oder «Dü-da-do /Postauto». Aber älter als 1923 kann das Ganze nicht sein, denn erst in jenem Jahr konnte man das Dreiklanghorn erstmals auf der Strasse hören. Das ausführlichste Lied zu diesem Vers ist «Tü-ta-to / Ds Postauto goht uf Reisli / Zu dene Geissli / Zu dene Gemsli / Hoffentli hets guati Bremsli». Und das stammt eindeutig aus dem Lied «Postifahrt» des Bündner Liedermachers Linard Bardill. Die Variante «Dü-da-do Postauto / Het e Floh / Dä biisst eso» ist eine Abwandlung des viel älteren Kinderverses «I weiss e Witz / Vom Unggle Fritz / Dä het e Floh / Dä biisst esoo» – worauf man den Angesprochenen kneifte. Vielleicht ist «Dü-da-do Postauto / Het e Floh / Weiss nid wo» eine weitere Abwandlung des alten Unggle-Fritz-Kinderverses. «Tü-ta-to Postauto / Fahrt i Dräck / Ohni Späck» ist eine Nonsense-Variante von «Tü-ta-to / Postauto / Fahrt i Dräck / Chunt nümm wägg» aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Der Variante «… Fahrt uf Gänf / Ohni Sänf» begegne ich erst seit 2014 auf verschiedenen Websites. Ich halte alle diese Erweiterungen von «Tü-ta-to / Postauto» für sehr jung, aber sie zeigen, dass durchaus noch neue Kinderlieder und -verse entstehen.

Popsong «Dü Da Do»

Bin unterwägs, i sitz relaxed,
i nimm de nächschti Halt
vo mim Postauto.

Dü Da Do

säb wo niemols wör rendiere,
wenn kein Staat wör Chöle schiebe, säb isch mis Postauto.

Der Sound der Band Dachs ist cooler Mundart-Pop im St. Galler Dialekt.
Mit dem Song «Dü Da Do» haben sie 2017 dem gelben Autobus ein modernes musikalisches Denkmal gesetzt.

Kurzgeschichte «Sweet Dreams»

Schriftsteller Peter Stamm
Foto: SRF

Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm (55, «Weit über das Land») sitzt im Postauto von Frauenfeld nach Steckborn TG, da fällt ihm zuhinterst im Bus ein Liebespärchen auf. Stamm denkt sich ihre Geschichte aus, nennt sie Simon und Lara und verewigt die beiden – samt Postauto – in einer Erzählung.

«Der Bus hielt vor dem Bahnhofsgebäude an, und der Fahrer wünschte über die Lautsprecheranlage allen ­einen schönen Abend und ­stellte den Motor ab. Die ­Passagiere stiegen aus, redeten noch ein paar Worte und ­gingen dann weg. Lara kannte die meisten flüchtig, nur einen Mann hatte sie noch nie ­gesehen. Er hatte sich während der Fahrt ein paarmal zu ­ihnen umgedreht und sie ­beobachtet. Als der Fahrer die Station angesagt hatte, war er sofort aufgestanden und zur Tür gegangen, obwohl es die Endstation war. Während der Bus die letzten Kurven nahm, stand der Mann direkt vor Lara. Er hielt sich fest und drückte noch einmal auf den Halteknopf. Er musste um die vierzig sein und passte mit ­seinem langen dunklen Mantel nicht recht in die Gegend. Sie fragte sich, was er hier wolle. Während sie ihn musterte, trafen sich ihre Blicke. Der Mann wirkte ruhig, fast gleichgültig, aber in seinen Augen sah Lara eine Aufmerksamkeit und eine Art Hunger, die ihr unangenehm waren und sie zugleich herausforderten. (…)»

Aus: Peter Stamm, «Sweet Dreams», 2011 erschienen im Erzählband
«Seerücken», S.-Fischer-Verlag.

Postauto für die Kleinen

Nein, ganz günstig ist es nicht, das Holz-Postauto für Kinder, das unter anderem beim Spielwarenhändler Pastorini für 99 Franken erhältlich ist. Dafür ist es zu 100 Prozent aus Schweizer Holz und verfügt über ein abnehmbares Dach. So lernen die Kinder wenigstens von früh auf, dass Service public kostet.

Globi und das Postauto

Globi ist eine Schweizer Kultfigur, und er umgibt sich gerne mit anderen schweizerischen Ikonen. Im Band 65 geht er 1997 zur Post und fährt eigenhändig den gelben Bus: «Globi bei der Post» ist in der 13. Auflage – ein Riesenerfolg. Bei der Postauto AG läufts weniger rund. Damit will man beim Globi-Verlag aber möglichst nichts zu tun haben. Globi-Bilder dürften nicht «zweckentfremdend aktuelle Situationen rund um die Post bebildern».

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?