Heute läuft die Vernehmlassungsfrist zum «Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafrecht und im Nebenstrafrecht» ab. Was trocken tönt, birgt politischen Zündstoff. Denn der Bundesrat schlägt unter anderem vor, das Inzest-Verbot aus dem Strafgesetz zu streichen. Bisher drohen einem Geschwisterpaar, das miteinander schläft, bis zu drei Jahre Knast.
Der Inzest-Artikel habe eine marginale Bedeutung, argumentieren die Bundesjuristen: In den letzten 25 Jahren hätten Schweizer Gerichte durchschnittlich nur rund drei bis vier Urteile wegen Inzucht gefällt. Um den Missbrauch von Kindern in der Familie zu bestrafen, reichten die Artikel gegen Pädophilie. «Mit der Streichung wird einzig der einvernehmliche Beischlaf zwischen blutsverwandten Erwachsenen straffrei», betont das EJPD.
Eine moralische Frage – keine strafrechtliche
Zu den Befürwortern der Streichung des Inzest-Artikels gehört der grüne Nationalrat und Jurist Daniel Vischer. Zwei erwachsene Verwandte, die einvernehmlich Sex haben, sollten dafür nicht bestraft werden, findet er. «Inzest ist eine schwierige moralische Frage – aber keine, die wir über das Strafgesetz lösen sollten.»
Ganz anderer Meinung sind die christlichen Mitteparteien. Barbara Schmid-Federer, Zürcher CVP-Nationalrätin, findet den Vorschlag des Bundesrates «total daneben». «Wir sind doch alle der Meinung, dass Inzest etwas Schlechtes ist. Ich weiss deshalb gar nicht, wie man auf die Idee kommen kann, den Verbots-Artikel zu streichen.»
Die Evangelische Volkspartei (EVP) verschickte gestern ein Communiqué, in dem sie ebenfalls eindringlich vor einer Aufhebung des Inzestverbotes warnt. Es gebe «keine moralische Notwendigkeit und kein wie immer geartetes Bedürfnis, den einvernehmlichen Beischlaf zwischen blutsverwandten Erwachsenen zu legalisieren».
«Mord ist auch selten»
Das der Inzest unter erwachsenen Geschwistern äusserst selten vorkommt, ist für die EVP kein Argument: Mordfälle seien auch selten und dennoch komme niemand auf die Idee, auf eine entsprechende Strafnorm zu verzichten. Ausserdem nehme die Zeugung eines Kindes mit «nachteiligen genetischen Anlagen zumindest in Kauf», wer Inzest betreibe.
Gleich argumentiert auch SVP-Nationalrat Lukas Reimann. Er will nicht nur die Streichung des Inzest-Artikels verhindern – sondern diesen sogar noch verschärfen: Auch Sex und Eheschliessungen zwischen Cousin und Cousine sollen künftig verboten sein.
Knickt der Bundesrat ein?
So weit wird der Bundesrat kaum gehen wollen. Aber aufgrund des Widerstandes der bürgerlichen Parteien spielt die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga offenbar mit dem Gedanken, den Inzestartikel weiterhin im Strafgesetzbuch zu belassen.
Zumindest tönte dies Sommaruga auf eine entsprechende Frage hin am Montag im Nationalrat an: «Wenn sich zeigt, dass eine bestimmte Vorstellung oder ein Vorschlag in der Vernehmlassung keine Unterstützung erhält, gehe ich davon aus, dass der Bundesrat dies sicher zur Kenntnis nehmen und sich entsprechend daran ausrichten wird.»