Weil Bern bummelt
Frauen machen Druck für Steuer-Initiative

Die SP unterstützt die Initiative der FDP-Frauen zur Individualbesteuerung. Bisher hatte der Bundesrat das Dossier vor sich hergeschoben.
Publiziert: 14.02.2021 um 09:38 Uhr
Verheiratete Paare zahlen höhere Steuern als Unverheiratete.
Foto: Keystone
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Camilla Alabor

Die Konstellation ist – gelinde gesagt – ungewöhnlich: Am Samstag beschloss die SP, die Initiative der FDP-Frauen zur Individualbesteuerung zu unterstützen. Zwei staatstragende Parteien tun sich also zusammen, um 100'000 Unterschriften zu sammeln, eine Kampagne zu lancieren und eine Reform des Steuersystems vors Volk zu bringen.

Die FDP-Frauen erfüllt das mit Zuversicht: «Das freut uns sehr», kommentiert deren Präsidentin, die Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (54), die Hilfe der Linken. «Unser Ziel war von Anfang an, das Projekt breit abzustützen.»

Mit ihrer Initiative möchten die Frauen des Freisinns die Heiratsstrafe für Doppelverdiener-Familien abschaffen. Heute lohnt es sich für viele gar nicht, wenn beide Ehepartner arbeiten. Denn das Einkommen des Zweitverdieners – in der Regel die Frau – wird von der Steuerprogression und den Kosten für die Kinderbetreuung meist gleich wieder aufgefressen.

Mit dem Resultat, dass viele Frauen, auch gut ausgebildete, lediglich in tiefen Pensen arbeiten. Konkubinatspaare haben dieses Problem nicht, da Unverheirate jeweils individuell besteuert werden.

Falsche Anreize

Die Fehlanreize im heutigen Steuersystem sind für die SP der Grund, warum die Partei die Initiative unterstützt: «Momentan werden Paare bestraft, bei denen Frau und Mann zu gleichen Teilen arbeiten», sagt Nationalrätin Min Li Marti (46), «das läuft der Gleichberechtigung völlig zuwider.»

Das heutige Modell basiere auf der Annahme, dass der Mann die Familie allein ernähre. «Dieses Familienbild hat mit der Realität immer weniger gemein», so Marti.

Support erhalten die FDP-Frauen auch von der Frauenorganisation Alliance F: Sie wird die Initiative voraussichtlich unterstützen. Grüne und GLP sind ohnehin dafür. Sogar die CVP-Frauen zeigen Interesse, wollen aber abwarten, was aus der eigenen Küche kommt: Die Mitte-Partei will die Benachteiligung von Ehepaaren mit einer Neuauflage ihrer Heiratsstrafe-Initiative angehen.

Angesichts dieser breiten Ja-Front stellt stellt sich die Frage, weshalb sich die FDP-Frauen überhaupt die Mühe machen, eine Initiative zu lancieren – die Sache liesse sich doch bequem im Parlament regeln: Vor zwei Jahren haben über 100 Parlamentarier einen Vorstoss unterschrieben, der die Einführung der Individualbesteuerung fordert. Derzeit liegt das Geschäft beim Bundesrat; dieser will die Botschaft zuhanden des Parlaments im Jahr 2023 verabschieden.

Wozu also der ganze Aufwand, wenn der parlamentarische Prozess bereits angelaufen ist? «Wir geben dem Bundesrat damit ein klares Signal: Es geht nicht an, das Anliegen weiter auf die lange Bank zu schieben», antwortet Vincenz-Stauffacher. «Zudem wollen wir sicherstellen, dass die Steuerreform auch durchkommt.»

Bürgerliche Ablehnung?

Tatsächlich gab es während der vergangenen 15 Jahre mehrere Versuche, die Individualbesteuerung per Gesetz einzuführen, sie scheiterten aber entweder am bürgerlichen Bundesrat, der andere Modelle bevorzugte und sich sogar weigerte, eine Kosten-Nutzen-Analyse der Individualbesteuerung vorzulegen, oder an konservativen Kräften im Parlament, die entsprechende Vorlagen versenkten.

Mit ihrer Initiative haben die FDP-Frauen während der parlamentarischen Beratungen ein Druckmittel in der Hand. Zudem – das ist nicht unwichtig – hatte sich bisher nicht einmal die FDP geschlossen für die Reform ausgesprochen. Nun, wo die Initiative aus den eigenen Reihen kommt, dürfte es für FDP-Politiker schwieriger werden, dagegen anzugehen.

Vincenz-Stauffacher betont, die Initiative bedeute keineswegs einen Angriff auf das traditionelle Familienbild: «Wir wollen, dass die Menschen die Freiheit haben, jenes Modell zu wählen, das für sie stimmt.»

Es könnte allerdings schwierig werden, die Reform so auszugestalten, dass die Nutzniesser der heutigen Lösung nicht erheblich mehr zahlen müssen, gleichzeitig aber die Steuerausfälle für den Bund möglichst tief bleiben.

Die Gegner sind denn auch überzeugt, dass die Reform das traditionelle Familienmodell benachteiligen wird: «Das Resultat wäre, dass ein Paar mit einem Einkommen von 100'000 Franken schlechter dasteht als eines, das zwei Mal 50'000 Franken verdient», sagt Pirmin Bischof (61). Für den Mitte-Ständerat ist deshalb klar: «Wir halten an der Neuauflage unserer Heiratsstrafe-Initiative fest.»

Die Mitte setzt auf das sogenannte Splitting-Modell. Dies reduziert die Steuerlast für Ehepaare ebenfalls – Einverdiener-Haushalte profitieren davon aber stärker als Doppelverdiener.

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