Marius Gschwend (23) konnte es drehen und wenden, wie er wollte. Die Rechnung ging nicht auf. Die 34 Kühe seines Vaters gaben zwar fleissig Milch, doch was Vater Marcel Gschwend (52) dafür erhielt, reichte gerade so, um über die Runden zu kommen. Geld beiseitezulegen, war mit dem tiefen Milchpreis nicht möglich. Ganz zu schweigen davon, den Anbindestall auf ihrem Bauernhof in Gaiserwald SG endlich in einen luftigen Laufstall umzubauen.
«Wir haben am Stubentisch oft darüber diskutiert, wie sich die Situation ändern liesse», erinnert sich Marius Gschwend. Wäre es eine Möglichkeit, die Milch selber zu pasteurisieren und abzupacken, statt sie als Rohmaterial dem Tanklastwagen mitzugeben? Würden sich die teuren Maschinen lohnen? Was wäre, sollte der Milchpreis noch weiter sinken? Manch ein Abendessen spielten Vater und Sohn solche Szenarien durch, wägten ab, kalkulierten, debattierten. Ihr Fazit, stets von neuem: Es lohnt sich nicht.
1 Franken statt 60 Rappen pro Liter
Bis eines Abends im September vergangenen Jahres Vater Marcel aufgeregt an die Zimmertüre seines Sohnes klopfte. «Ich glaube, ich habe die Lösung gefunden», rief er seinem Sohn zu, einen Artikel des «Schweizer Bauern» in der Hand: In der Westschweiz hatten sich Milchbauern zusammengeschlossen, um ein Fairtrade-Label für einheimische Bauern zu gründen. Die Idee dahinter: Statt wie heute rund 60 Rappen erhalten die Landwirte bei der sogenannten Faireswiss-Milch 1 Franken pro Liter. Dieser Preis erlaubt es den Bauern, nicht nur ihre Kosten zu decken, sondern auch Geld für Investitionen zur Seite zu legen.
Sohn Marius musste nicht lange überzeugt werden. Wenig später wurde die Familie Teil der Faireswiss-Genossenschaft – und Marius Gschwend machte sich daran, das Projekt in der Ostschweiz bekannt zu machen. Ein erster Coup gelang den Milchbauern im Frühling dieses Jahres, als die Supermarktkette Spar sich bereit erklärte, die Faireswiss-Milch in ihr Sortiment aufzunehmen. Für den Konsumenten hält sich der Aufschlag in Grenzen: Der Liter «faire» Milch kostet 1.90 Franken, die reguläre Milch 1.60 Franken. Auch im Manor ist die Milch erhältlich, ebenso wie in kleineren Läden in der Westschweiz. Dort gingen die ersten Milchpackungen bereits im September 2019 über den Ladentisch.
Wie sich seither gezeigt hat, stösst das Label bei den Kunden auf Anklang: «Wir hatten damit gerechnet, dass wir innerhalb des ersten Jahres etwa 300'000 Liter faire Milch verkaufen, nun sind es voraussichtlich eine Million Liter», sagt Marius Gschwend, der seit drei Monaten auch im Vorstand der Genossenschaft ist.
Höherer Preis ohne Mehrwert
Anders als beim Bio-Label sind bei Faireswiss die Vorgaben in Bezug aufs Tierwohl und die Umwelt allerdings deutlich weniger strikt. Andreas Bosshard von der Denkfabrik Vision Landwirtschaft ist deshalb skeptisch, inwiefern sich das Faireswiss-Label durchsetzen wird: «Der Konsument zahlt mehr, ohne dass er selber einen Mehrwert bekommt», stellt er fest. Grundsätzlich finde er die Idee einer «fairen Milch» aber eine gute Sache, fügt Bosshard an: «Es ist positiv, dass die Bauern die Initiative ergreifen.»
Gschwend ist hingegen überzeugt: Die Nachfrage nach fairer Milch ist da, und sie ist noch lange nicht gedeckt. Das zeige schon die bisherige Entwicklung. Entsprechend ehrgeizig ist das Ziel, das er sich setzt: «Wir hoffen, dass durch das Faireswiss-Label der Milchpreis in der ganzen Schweiz steigen wird.» An den Bauern soll es nicht liegen: Neben der Milch gibt es mittlerweile auch fairen Käse zu kaufen – die jüngste Kreation aus der Ostschweiz, der «Bauernkäse», kommt im Februar in die Läden.