Vorbild für die ganze Schweiz?
Berner Schule hat Handys verbannt – sogar Kinder sind happy!

In Köniz BE gilt jetzt ein flächendeckendes Handyverbot an Schulen. Überraschend: Kinder, Lehrer und Eltern ziehen mit – und loben die neue Regelung. Taugt das Modell als Vorbild für die ganze Schweiz?
Publiziert: 00:47 Uhr
|
Aktualisiert: 04:04 Uhr
1/7
Klassenlehrerin Nadine Schindler versorgt die «Handy-Garage» in einem Schrank.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Handyverbot an Könizer Schulen: Schüler und Eltern zufrieden
  • Experten warnen vor früher Nutzung sozialer Medien und Suchtpotenzial
  • Schweizer Politik ringt mit Lösungen, der Bundesrat muss prüfen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Vor dem Sportunterricht am Morgen geht es für Sacha (14) erst die Treppen hoch ins Klassenzimmer – und dort wandert das Smartphone in die «Handy-Garage». So machen es auch seine Gspänli. Seit Anfang Februar gilt auf allen Schularealen in Köniz BE ein flächendeckendes Handyverbot.

Lehrpersonen sind zufrieden, Eltern erleichtert. Die Pausen seien lebendiger, sagen auch Schüler. Wird das Könizer Modell zum Vorbild für die Schweiz?

Wenig negative Rückmeldungen

«Der Extraweg vor dem Sport ist schon nervig», sagt Sacha. An der Regelung habe er aber ansonsten nichts auszusetzen. Auch seine Kameradinnen aus der 8. Klasse – Carla (14), Alisha (14), Emma (14), Eleyna (13), Aschley (15) und Yara (14) – sind damit zufrieden, wie sie beim Gespräch im Klassenzimmer bekräftigen. Ohne Handy seien sie viel konzentrierter. Dazu kommen zahlreiche Konflikte, die sich jetzt entschärft hätten.

«Meine Cousine in Freiburg hat während des Unterrichts häufig das Handy auf dem Pult und verschickt Videos aus dem Unterricht», sagt Yara. «Das finde ich eine Katastrophe.» Daher würde die Schülerin ein Verbot in der ganzen Schweiz begrüssen. Auch die anderen sechs pflichten bei.

Besonders bei den Jüngeren sei es aber mittlerweile schlimm. «Ich kenne Kinder, die bereits mit sechs Jahren ein Handy haben», ruft Sacha aus. «Sie benutzen Wörter und Begriffe, die sie eigentlich für Alter nicht kennen sollten. Das ist bodenlos, mit sechs spielte ich noch im Sand!» Die anderen lachen.

Im Ausland bestehen bereits Regulierungen

«Plakativ gesagt: Die Eltern fortzubilden, wäre gut», sagt Niels Lang (51), Co-Schulleiter der Schule Wangental. Auch zahlreiche Experten warnen vor den immer jüngeren Nutzerinnen und Nutzern. Der digitale Raum wirke aufs Kinderhirn oft wie eine harte Droge.

Plattformen wie Snapchat oder Instagram würden ihr Suchtpotenzial bewusst ausschöpfen. Dazu kommen Probleme, die oft in den Schulen eskalieren: Cybermobbing, unerlaubte Bildaufnahmen oder gar das Verschicken von pornografischen Inhalten.

Unsere Kinder müssen geschützt werden, rufen derzeit immer mehr Politikerinnen und Politiker – bei Debatten über Handyverbote an Schulen und strengere Regeln für soziale Medien. Im Nachbarland Frankreich ist das Handy längst durch ein nationales Gesetz von den Schulen verbannt. Und in Australien sollen sich Jugendliche unter 16 bereits nicht mehr bei TikTok und Co. anmelden dürfen.

Politik will härter durchgreifen

Auch in der Schweiz muss der Bundesrat prüfen, wie er der Jugend im digitalen Sog begegnen will. In der Frühjahrssession der eidgenössischen Räte überwies der Ständerat dazu einen Vorstoss der Baselbieterin Maya Graf (63, Grüne) an die Landesregierung. Zudem fordert eine Petition, dass Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61, SP) eine Alterskontrolle bei sozialen Medien einführt.

Köniz ist besonders beim Handy deutlich voraus. Ein erstes Mal verboten wurde es sogar bereits vor fast 20 Jahren. «Damals war es ein Entscheid aus der Politik», sagt Schulleiter Lang. Es zerbröckelte daher nach und nach. Die neue Handyregel sei nun organisch aus den Schulen gewachsen und in der Schulleitungskonferenz vorgängig intensiv diskutiert worden. Das in vielen Bereichen föderal organisierte Schulsystem der Schweiz – oft despektierlich als «Flickenteppich» bezeichnet – ermöglicht dieses Vorgehen.

Digitaler Raum verändert sich rasant

Für Köniz stimmt der eingeschlagene Weg jedenfalls. «Die Eltern sind froh, dass es die Regel gibt», sagt Klassenlehrerin Nadine Schindler (30). Dass aber auch die sieben Jugendlichen so positiv darüber sprechen, überrascht Schindler und Schulleiter Lang dann aber doch ein bisschen.

Eine verantwortungsvolle Mediennutzung sei im Unterricht aber längst ein Thema, versichern sie. Auf medienpädagogische Beratungspersonen für die Klassen verzichte man jedoch aktuell. Der digitale Raum ändere sich deutlich schneller als andere Schulmaterie. «Es ist besser, wenn sich direkt unsere Lehrpersonen weiterbilden», sagt Lang. «Wir müssen seit Jahren immer wieder rasch handeln, wenn es etwa um unerlaubte Fotos, Mobbing oder anderes geht.»

Lehrer sollen nicht zu Polizisten werden

Laut Lang soll das Handyverbot dabei unterstützen, indem es Gewohnheiten ändert. Auch wenn sich nicht ganz alle Schülerinnen und Schüler mit demselben Eifer daran halten. Polizei spielen will die Lehrerschaft jedoch nicht.

«In den Dialog treten hat eine nachhaltigere Wirkung», sagt Klassenlehrerin Schindler. Sowieso muss auch sie eingestehen: Die Auslöser für die bekannten Probleme stammen meistens aus der Freizeit – und dringen dann auch trotz Handyverbot in den Schulalltag.

Schüler wollen soziale Medien nicht aufgeben

Auch die sieben Jugendlichen nutzen ihr Handy ausserhalb der Schule fleissig. Am meisten seien sie auf Tiktok. «Es macht süchtig», sagt Schülerin Carla. «Man will immer weiter scrollen.»

Geht es darum, die sozialen Medien zu regulieren, reagieren sie daher eher verhalten. Klar, man sollte nicht zu früh auf den Plattformen sein. Doch auch sie hätten bereits Online-Profile erstellt, als sie noch jünger als 13 waren – dem «offiziellen» Mindestalter der meisten Plattformen. «Gehört Snapchat auch zu den sozialen Medien?», fragt etwa Sacha besorgt. «Wie soll ich dann noch mit Kollegen schreiben?»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?