Foto: Keystone

Umstrittene Dossiers im EU-Rahmenabkommen
Schweizer würden am ehesten beim Lohnschutz einlenken

Eine knappe Mehrheit der Schweizer will bessere Beziehungen zu Brüssel und das Rahmenabkommen mit der EU unterzeichnen. Zugeständnisse würden sie am ehesten noch beim Lohnschutz machen, der Ausbau der Sozialhilfe für EU-Ausländer und fremde Richter hingegen sind tabu.
Publiziert: 11.10.2019 um 11:38 Uhr
1/7
Gute Nachrichten für den Chef-Verhandler Roberto Balzaretti: Eine Mehrheit der Schweizer steht dem Rahmenabkommen positiv gegenüber.
Foto: Philippe Rossier
Sermîn Faki

Seit Monaten sitzt die Schweiz wie der Hase vor der Schlange und rührt sich nicht. Die Schlange, das ist die EU. Seit dem sich fast alle Parteien gegen das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union in der vorliegenden Form ausgesprochen haben, bewegt sich kaum mehr etwas in diesem zentralen Dossier. Zu gross ist die Angst, dass der Stimmbürger Nein zum Vertrag sagen könnte.

Doch nun zeigt eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts gfs Bern, dass die Chancen des Vertrags beim Volk nicht ganz so schlecht sind. Im Europa-Barometer, das von der Credit Suisse in Auftrag gegeben wurde, wünschen sich 52 Prozent der Stimmbürger eine klare oder gezielte Weiterentwicklung des bilateralen Wegs – am ehesten über das Rahmenabkommen. Neuverhandlungen wollen nur wenige. «Die Diskussionen um das Rahmenabkommen würden damit eher eine forschere Gangart stützen», so die Studienautoren.

Zugeständnisse sind schwierig

Allerdings kommen sie auch zum Schluss, dass die Schweizerinnen und Schweizer kaum zu Zugeständnissen an die EU bereit sind. Überraschend ist dabei: Konzessionen würden sie noch am ehesten beim Lohnschutz machen. Zur Erinnerung: Die EU verlangt, dass wir ihr Recht für ausländische Firmen übernehmen, was die flankierenden Massnahmen schwächen würde, wie Gewerkschaften und die SP sagen.

Aufgrund des Widerstands der Linken wegen des Lohnschutzes und der generellen Ablehnung des Rahmenvertrags seitens der SVP galt das Rahmenabkommen bislang nicht als mehrheitsfähig.

Laut Umfrage sind beachtliche 31 Prozent der Befragten dafür, beim Lohnschutz einzulenken. Interessanterweise ist die Zustimmung dazu im Tessin mit 37 Prozent am höchsten – obwohl die Südschweiz am meisten unter Lohndumping durch norditalienische Firmen leidet.

Lohnschutz darf nicht erodieren

Juncker und Co. wollen, dass die Schweiz den Lohnschutz übernimmt, der in der EU gilt. Die Linken und Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber sind grundsätzlich dagegen, dieses zentrale Thema nach Brüssel zu delegieren. Auch weil der EU-Lohnschutz schon heute nicht so umfassend geregelt ist, wie die flankierenden Massnahmen, welche die Schweiz mit der Personenfreizügigkeit eingeführt hat.

Der Entwurf des Rahmenabkommens gewährt der Schweiz zwar Ausnahmen, ob diese aber bei einer allfälligen Beschwerde vor Gericht Bestand hätten, ist fraglich. Sicher wäre: Eine ausländische Firma müsste sich nur noch vier statt acht Tage vor Ausführung einer Arbeit anmelden. Kontrollen müssten reduziert werden und eine Kaution dürfte nur noch bei jenen Firmen eingetrieben werden, die bereits einmal Verstösse begangen und ihre Bussen nicht bezahlt haben.

Für den Bundesrat ein No-Go. Im Brief an Juncker heisst es, der Lohnschutz müsse «auf dem in der Schweiz geltenden Niveau» garantiert werden.

Juncker und Co. wollen, dass die Schweiz den Lohnschutz übernimmt, der in der EU gilt. Die Linken und Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber sind grundsätzlich dagegen, dieses zentrale Thema nach Brüssel zu delegieren. Auch weil der EU-Lohnschutz schon heute nicht so umfassend geregelt ist, wie die flankierenden Massnahmen, welche die Schweiz mit der Personenfreizügigkeit eingeführt hat.

Der Entwurf des Rahmenabkommens gewährt der Schweiz zwar Ausnahmen, ob diese aber bei einer allfälligen Beschwerde vor Gericht Bestand hätten, ist fraglich. Sicher wäre: Eine ausländische Firma müsste sich nur noch vier statt acht Tage vor Ausführung einer Arbeit anmelden. Kontrollen müssten reduziert werden und eine Kaution dürfte nur noch bei jenen Firmen eingetrieben werden, die bereits einmal Verstösse begangen und ihre Bussen nicht bezahlt haben.

Für den Bundesrat ein No-Go. Im Brief an Juncker heisst es, der Lohnschutz müsse «auf dem in der Schweiz geltenden Niveau» garantiert werden.

Kernstück unter Beschuss

Zugeständnisse in Bezug auf die Unionsbürgerrichtlinie, die EU-Bürgern schnelleren Zugang zur Schweizer Sozialhilfe bieten würde, unterstützten hingegen nur 16 Prozent. Dafür können sich am ehesten Westschweizer (23 Prozent) und SP-Wähler (32 Prozent) erwärmen.

Unionsbürgerrichtlinie ausklammern

Wenn die Schweiz die sogenannte Unionsbürgerrichtline übernehmen würde, könnten EU-Bürger in der Schweiz schneller an Sozialhilfe gelangen. Heute haben etwa Personen, die als Rentner oder Studenten in die Schweiz reisen, keinen Anspruch. Dies würde sich ändern. Auch EU-Bürger, die hierzulande ihren Job verlieren, hätten früher Anspruch auf Sozialleistungen. Aufenthaltsbewilligungen könnten weniger einfach entzogen werden. Zudem könnten kriminelle EU-Ausländer noch schwerer ausgeschafft werden. Bereits heute gibt es Einschränkungen aufgrund der Personenfreizügigkeit.

Die EU wollte die Richtlinie explizit im Rahmenabkommen erwähnen, die Schweiz hingegen versuchte diese explizit ausschliessen. Man einigte sich, diese gar nicht zu erwähnen. Die Bürgerlichen befürchten jedoch, dass die Richtlinie dennoch rasch aufs Tapet kommen wird - und gaben dem Bundesrat den Auftrag, diese explizit vom Rahmenvertrag auszuschliessen. Was nun auch die Regierung anstrebt.

Wenn die Schweiz die sogenannte Unionsbürgerrichtline übernehmen würde, könnten EU-Bürger in der Schweiz schneller an Sozialhilfe gelangen. Heute haben etwa Personen, die als Rentner oder Studenten in die Schweiz reisen, keinen Anspruch. Dies würde sich ändern. Auch EU-Bürger, die hierzulande ihren Job verlieren, hätten früher Anspruch auf Sozialleistungen. Aufenthaltsbewilligungen könnten weniger einfach entzogen werden. Zudem könnten kriminelle EU-Ausländer noch schwerer ausgeschafft werden. Bereits heute gibt es Einschränkungen aufgrund der Personenfreizügigkeit.

Die EU wollte die Richtlinie explizit im Rahmenabkommen erwähnen, die Schweiz hingegen versuchte diese explizit ausschliessen. Man einigte sich, diese gar nicht zu erwähnen. Die Bürgerlichen befürchten jedoch, dass die Richtlinie dennoch rasch aufs Tapet kommen wird - und gaben dem Bundesrat den Auftrag, diese explizit vom Rahmenvertrag auszuschliessen. Was nun auch die Regierung anstrebt.

Auf grosse Skepsis stösst auch das Kernstück des Rahmenabkommens: Die dynamische Übernahme von EU-Recht und die Unterstellung unter ein Schiedsgericht. Hier würden nur 17 Prozent einlenken wollen.

Vor allem aber: In allen Landesteilen und bei allen Partei-Sympathisanten spricht sich eine Mehrheit gegen Zugeständnisse aus.

Die Bevölkerung weiss noch nichts

Was sich ebenfalls zeigt: Der Meinungsbildungsprozess zum Rahmenabkommen ist nicht sehr weit fortgeschritten. Nur 60 Prozent der Befragten haben überhaupt bemerkt, dass die Schweiz mit Brüssel verhandelt.

Das könnte auch die zum Teil widersprüchlichen Antworten erklären – etwa die Ablehnung von EU-Recht und fremden Richtern auf der einen Seite und die Zustimmung zum Rahmenabkommen auf der anderen. Denn eines ist klar: Selbst wenn Zugeständnisse möglich sind – die dynamische Rechtsübernahme ist der Kern des Rahmenabkommens. Ohne diesen ist das Abkommen sinnlos.

Darum geht es beim Rahmenabkommen

Die EU hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll mehr oder weniger automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Der Bundesrat konnte ein Schiedsgericht aushandeln. Dieses wäre zu gleichen Teilen mit Schweizer und EU-Richtern besetzt. Die Schiedssprüche sind verbindlich. Setzt die unterlegene Partei diese nicht um, kann die andere Partei Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen aber «verhältnismässig» sein. Sie dürfen also nicht völlig unangebracht drastisch ausfallen. Bestimmte Entscheide könnten zudem vom Europäischen Gerichtshof gefällt werden.

Umstritten ist auch der Geltungsbereich des Abkommens. Die EU verlangt etwa, dass die Schweiz ihren Lohnschutz anpasst. Weitere Knackpunkte sind Staatsbeihilfen, etwa für Energieversorger oder Staatsgarantien für Banken sowie die Unionsbürgerrichtlinie, mit der EU-Bürger schneller Zugang zur Sozialleistungen erhalten würden.

Die EU hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll mehr oder weniger automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Der Bundesrat konnte ein Schiedsgericht aushandeln. Dieses wäre zu gleichen Teilen mit Schweizer und EU-Richtern besetzt. Die Schiedssprüche sind verbindlich. Setzt die unterlegene Partei diese nicht um, kann die andere Partei Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen aber «verhältnismässig» sein. Sie dürfen also nicht völlig unangebracht drastisch ausfallen. Bestimmte Entscheide könnten zudem vom Europäischen Gerichtshof gefällt werden.

Umstritten ist auch der Geltungsbereich des Abkommens. Die EU verlangt etwa, dass die Schweiz ihren Lohnschutz anpasst. Weitere Knackpunkte sind Staatsbeihilfen, etwa für Energieversorger oder Staatsgarantien für Banken sowie die Unionsbürgerrichtlinie, mit der EU-Bürger schneller Zugang zur Sozialleistungen erhalten würden.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?