Die Grenze zu überqueren, gehört für Alessia Fiorella (27) normalerweise zum Alltag. Die Pflegefachfrau aus dem italienischen Domodossola arbeitet seit vier Jahren im Seniorenzentrum in Naters VS, rund eine Zugstunde von ihrem Zuhause entfernt.
Doch mit der Corona-Epidemie ist die Normalität dem Ausnahmezustand gewichen. Schon knapp zwei Wochen war Fiorella nicht mehr zu Hause. Wegen des Virus hat der Chef sie und zwei weitere Mitarbeiterinnen aus Norditalien gebeten, bis auf weiteres im Wallis zu bleiben.
Ihr Freund kann sie nicht besuchen
Eine ungewohnte Situation für Fiorella. «Ich habe ein WG-Zimmer in Naters, damit ich nach Spätdiensten nicht mehr nach Hause fahren muss. Normalerweise schlafe ich nur einige wenige Nächte pro Monate hier», erzählt sie. Nun müsse sie mindestens einen Monat bleiben – vielleicht auch länger.
Die junge Italienerin nimmt das Ganze allerdings gelassen. Zum Glück habe sie vorübergehend ihr 60-Prozent-Pensum aufstocken können, erzählt sie. «Wenn ich schon hier bin, möchte ich auch mehr arbeiten.» So hat sie auch weniger Zeit, den Freund zu vermissen. Dieser darf sie wegen des Ausnahmezustands in Italien nämlich nicht im Wallis besuchen.
Fiorella sagt, sie habe nicht damit gerechnet, dass die italienische Regierung so drastische Massnahmen beschliesst und das ganze Land zur roten Zone erkläre. Fast alle Geschäfte sind zu, Schulen sowieso, das öffentliche Leben liegt weitgehend lahm.
Unterkünfte gesucht
Für italienische Grenzgänger wie Fiorella gilt im Moment offiziell zwar noch freie Fahrt, doch es ist gut möglich, dass der Grenzverkehr bald eingeschränkt wird. Und die Grenzgänger dann plötzlich fehlen. Nicht nur im Tessin, auch im Wallis oder den Bündnern Südtälern ist die Unsicherheit gross.
Wie das Seniorenzentrum Naters wappnet man sich deshalb auch andernorts. Viele Firmen im Tessin, Wallis und Graubünden haben ihre italienischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen, nicht mehr zu pendeln. Besonders für die unverzichtbaren Kräfte werden Unterkünfte gesucht, vor allem im Gesundheitswesen, aber auch im Bau.
«Wir haben derzeit etwa 15 Grenzgänger in Hotels untergebracht, die für uns unverzichtbar sind – Ingenieure, Bauführer, Maschinisten», sagt Emilio Cristina (55), Direktor des Bauunternehmens Ennio Ferrari in Lodrino TI. Das Angebot sei aber freiwillig, die Kosten werden derzeit von der Firma selbst übernommen. «Wenn die Situation länger andauert, werden wir diskutieren müssen, wie wir das Ganze finanzieren», so Cristina. «Ich hoffe jedenfalls, dass die Grenze nicht komplett geschlossen wird.»
Auch das Oberwalliser Haushaltstechnik-Unternehmen Lauber IWISA hat Hotelzimmer für die angestellten Grenzgänger organisiert. Rund ein Viertel der 120 Angestellten leben in Italien. Einige von ihnen würden bereits vom Angebot Gebrauch machen, sagt Geschäftsleiter Sandro Werlen (45).
Hotels locken mit Spezialangeboten
Ein anderer Unternehmer aus dem Tessin, der nicht namentlich genannt werden möchte, hat ebenfalls bereits einigen Grenzgängern ein Hotel-Angebot gemacht. «Sie müssen aber noch mit ihren Familien reden, ob das in Ordnung geht. Sie müssen selber entscheiden.» Er habe von verschiedenen Hotels auch entsprechende Offerten erhalten, sogar von Viersternehotels. «Sie haben mit vielen Annullationen zu kämpfen, deshalb machen sie einen Spezialpreis.»
In die Offensive ging beispielsweise das Hotel Croce Bianca in Poschiavo GR. Auf seiner Facebookseite wirbt es seit einigen Tagen um Grenzgänger. 50 Prozent Rabatt winken. Ein Einzelzimmer kostet damit noch gut 60 Franken – Frühstück inklusive.
«Wir haben viele Annullationen von Touristen und versuchen nun das Beste aus der Situation zu machen», sagt Hotelchef Claudio Zanolari (46). Derzeit habe man «eine Handvoll Grenzgänger» im Haus. «Zudem haben sich auch zwei unserer eigenen Mitarbeiter entschlossen, lieber im Hotel zu übernachten.»
Sollte die Grenze ganz geschlossen werden, sei man flexibel. Insgesamt sei die Situation für die Hoteliers derzeit schwierig. «Wir kämpfen weiter», so Zanolari. «Ich hoffe, dass sich die Lage aber bald wieder normalisiert.»
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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