SVP im Tief – das sagt die Basis in Hochdorf LU und Liestal BL
«Wir müssen unser Image als Altherren-Partei abstreifen»

Die SVP verliert viele Wähler in den wichtigen Agglomerationen. BLICK machte sich in Hochdorf LU und Liestal BL auf die Suche nach Antworten, wieso Blocher und Co. nicht mehr ziehen.
Publiziert: 05.04.2019 um 23:38 Uhr
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Schonungslose Kritik an sich uns seiner Partei: Die SVP würde seit Jahren  ins gleiche Horn blasen, so Reto Tschudin, SVP-Chef im Wahlkreis Liestal BL.
Foto: STEFAN BOHRER
Nico Menzato und Joel Probst (Text); Stefan Borer und Anja Wurm (Fotos)

«Wir müssen die Agglomerationen holen.» So in etwa lautete stets die Losung von SVP-Übervater Christoph Blocher (78). Doch seit den Nationalratswahlen 2015 geht es für die erfolgsverwöhnte Partei abwärts. In den Städten. Auf dem Land. Und eben auch in der Agglo

So verlor die SVP vor zwei Wochen im Kanton Zürich und vor sechs Tagen in Luzern und Baselland. Für Schweizer Verhältnisse massiv ist der Wählerschwund in grösseren Gemeinden, Städten oder deren Agglomerationen – etwa in Uster ZH, aber auch in Hochdorf LU oder Liestal BL.

Was sind die Gründe für den Niedergang der Rechtspartei in solchen Orten? Und ist ausschliesslich die Klimadebatte für den Höhenflug der Grünen verantwortlich? BLICK suchte in Hochdorf und Liestal nach Antworten. Und stiess auch auf viel Selbstkritik.

«Das Image der SVP als Altherren-Partei mit drei Hauptthemen müssen wir abstreifen – und zwar auf nationaler, kantonaler und lokaler Ebene.» Dies sagt nicht etwa ein frustrierter Hinterbänkler, der abgewählt worden ist. Sondern Reto Tschudin (34), SVP-Präsident von Liestal und Umgebung.

«Wir blasen seit Jahren mit den gleichen Leuten ins gleiche Horn»

Es gebe nicht nur die Themen Zuwanderung, Kriminalität und EU, die den Schweizern unter den Nägeln brennen würden. Die SVP müsse auf allen Ebenen auf Anderes setzen. Tschudin nennt ein Beispiel, dass dies funktionieren kann: «Vor vier Jahren stellte sich die SVP Baselland pointiert gegen eine Kantonsfusion mit Basel. Wir erlebten einen regelrechten Hype und gewannen die Wahlen», so der Leiter des Betreibungs- und Konkursamts Baselland. «Dieses Mal ist es uns nicht gelungen, ein solches Thema zu setzen.»

Entsprechend ging es am letzten Sonntag in die entgegengesetzte Richtung. Die SVP hat in Liestal 5,1 Prozentpunkte verloren und ist auf einen Wähleranteil von noch 22,5 Prozent abgestürzt. «Es war ein Schlag ins Gesicht, wir waren eigentlich optimistisch.»

Einige Tage nach der Wahlschlappe überrascht Tschudin die Ohrfeige allerdings schon weniger, wie er im Gespräch mit BLICK in der Liestaler Altstadt sagt. «Wir blasen seit Jahren mit den gleichen Leuten ins gleiche Horn. Das kann nicht immer gut gehen», so seine schonungslose (Selbst)-Kritik. Seine SVP müsse jetzt jünger werden – und auch weiblicher.

Nur so könne es auch gelingen, Modewähler anzuziehen. Solche gebe es auf lokaler Ebene einige. «Ich weiss von Personen, die vor vier Jahren der SVP ihre Stimme gegeben haben und jetzt grün wählten.» Weil nun der Klimaschutz im Trend sei, so der dreifache Familienvater.

In Hochdorf gibt SVP der «Klimahysterie» die Schuld

Nichts falsch gemacht haben will hingegen Mario Bucher (28), SVP-Parteipräsident im Wahlkreis Hochdorf LU – obwohl seine Partei dort knapp sechs Prozentpunkte und zwei Sitze verlor. «Wir haben keine Wähler verloren, weil wir etwas schlecht gemacht haben. Wir haben einen guten Wahlkampf geführt», sagt er zu BLICK. Viele SVP-Sympathisanten seien aus «unerklärlichen Gründen» nicht an die Urne gegangen.

Schuld am Misserfolg sei neben dem Rücktritt eines SVP-Zugpferds die «Klimahysterie». Die Wahl sei Ausdruck eines «Jugendaufstands», der aber bald schon abflauen werde: «Das war eine Modeerscheinung», gibt sich Bucher überzeugt.

Ob Modeerscheinung oder langfristiger Trend – sicher ist: Die Parteien mit «grün» im Namen sind im Hoch. Hauptsächlich wegen der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg (16), die mit ihren Klimastreiks eine grüne Welle auslöste. «Es wird bei uns kaum über Politik gesprochen. Wenn doch, fiel in den letzten Wochen der Name Greta», sagt Martina Kamber (52), Inhaberin eines Cafés in der Altstadt von Liestal.

Ihre helle Freude an Greta hat Erika Eichenberger (55), Präsidentin der Grünen Liestal und Umgebung. Ihre Partei legte um satte 8 Prozentpunkte zu – und kommt auf einen Wähleranteil von 18,2 Prozent. «Es gibt viel grüne Energie in Liestal, diese wurde bei diesen Wahlen endlich freigesetzt», sagt sie.

«Wir Grünen von heute sind keine Öko-Fundis mehr»

Ein Grund, wieso ihre Ortspartei noch stärker zulegte als anderswo sei neben einer sehr starken Liste auch die jahrelange grüne Vertretung in der Exekutive. «Ideologische Maximalforderungen bringen wenig. Um grüne Ideen durchzusetzen, müssen wir Kompromisse eingehen», sagt Eichenberger – und nennt Beispiele: Etwa die ausgebauten Tages-Strukturen und ein Velo-Transport-Service. Stellensuchende transportieren für einen Zustupf mit dem E-Bike und Anhänger die Einkäufe von Personen nach Hause. «Dank diesem Service kann man bei uns bequem mit dem Velo auch Grosseinkäufe tätigen und brauche dazu kein Auto», so Eichenberger.

Die Heilpädagogin sagt, die Grünen würden heute vielerorts lösungsorientierter politisieren als früher – und das bringe auch Erfolg mit sich: «Wir Grünen von heute sind keine Öko-Fundis mehr, sondern sprechen mit unseren Positionen auch gutbürgerlichen Personen an.»

Wird 2019 zum Jahr der Frauen?

Zurück in den Wahlkreis Hochdorf, wo die Grünen ebenso im Hoch sind. Um 3,6 Prozentpunkte legten sie zu und gewannen einen zweiten Sitz im Kantonsrat. Monique Frey (53), wiedergewählte Kantonsrätin und Chefin der Grünen in der Agglomeration der Stadt Luzern sieht neben dem Klima einen weiteren Grund für den Erfolg: «Das Resultat der Wahlen ist eindeutig die Quittung für die bürgerliche Sparpolitik.»

Die Luzerner Bürgerlichen hätten eine Sparrunde nach der anderen angeordnet. «Von diesem radikalen Sparkurs war vor allem die Bildung – und damit die Schüler – betroffen. Das politisierte und mobilisierte die Jungen: Es ist nur logisch, dass sie die SVP jetzt dafür abstrafen», so Frey zu BLICK.

Auch habe der SVP ihr Parteiprogramm geschadet. «Es wirkt nicht authentisch und ist wenig lokal verankert. Es liest sich wie jenes der SVP Schweiz», so Frey, die noch eine weitere Schwäche ausmacht: «Die SVP hat kaum Frauen auf der Liste.»

Auch die fehlenden Frauen sind schuld

Dies sieht Erika Eichenberger von den Grünen Liestal ähnlich: 2019 seien nicht nur Klima-, sondern auch Frauenwahlen, so Eichenberger. Sie wisse von Personen, die keine Partei gewählt haben, sondern ausschliesslich Frauen verschiedener Parteien. «Die älteren Herren der SVP, die mit Drehorgeli Wahlkampf betreiben und kaum Frauen auf ihre Listen setzen, haben so einen schweren Stand.»

Tatsächlich begegnete BLICK in Liestal einem Mann, der angab, nicht mehr die SVP-Liste eingeworfen zu haben. Sondern GLP. Aber nicht wegen des Klimaschutzes, wie er lächelnd anfügte. Sondern wegen einer «jungen und hübschen GLP-Kandidatin», die er getroffen habe.

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