Streitgespräch zur Präimplantations-Diagnostik - Chefarzt versus Psychotherapeutin
Muss das Leben dieses Leid bringen?

Christian De Geyter ist Fortpflanzungsmediziner und kämpft für die Präimplantationsdiagnostik (PID). Psychiaterin Susanne Lippmann-Rieder hält dagegen. Im BLICK-Streitgespräch kreuzen sie nun die Klingen. Das Stimmvolk entscheidet am 5. Juni.
Publiziert: 24.05.2016 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:43 Uhr
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Sermîn Faki und Ruedi Studer

Letztes Jahr hat das Stimmvolk der Präimplantationsdiagnostik (PID) grundsätzlich grünes Licht gegeben. Wie lange dauerte Ihr Freudentanz, Herr De Geyter?

De Geyter: Ich bin im Gegenteil in ein tiefes Loch gefallen: Nach dem anstrengenden Abstimmungskampf und anderen Belastungen war ich sehr erschöpft. Aber am Europakongress der Reproduktionsmediziner, der kurz nach der Abstimmung stattfand, haben wir dennoch angestossen.

Und Sie haben getrauert, Frau Lippmann-Rieder?

Lippmann: Es war eine grosse Enttäuschung, denn es ging um viel. Deshalb ich hatte ich mich engagiert gegen den Verfassungsartikel eingesetzt. Aber mir war schnell klar, dass ich weiter kämpfen werde, weil auch das Gesetz viel zu weit geht.

Ist das Referendum keine Zwängerei, nachdem 62 Prozent der Stimmbürger dem Verfassungsartikel zugestimmt haben?

Lippmann: Auf keinen Fall. Ich hätte vielleicht mit der Vorlage des Bundesrats leben können, die enge Schranken gesetzt hat. Doch das Parlament hat die Vorlage zu sehr ausgeweitet. Nun ist die schrankenlose Selektion von Embryonen für alle Paare möglich, die eine künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen.

Paaren zu helfen, die allein keine Kinder bekommen können, ist Ihr tägliches Geschäft, Herr De Geyter. Bereitet Ihnen diese Erweiterung keine Bauchschmerzen?

De Geyter: Nein. Das geltende Gesetz ist 20 Jahre alt. Nachdem die Medizin enorme Fortschritte gemacht hat, müssen wir heute in der Schweiz mehr Embryos in die Gebärmutter einpflanzen, als wir eigentlich sollten.

Nämlich?

De Geyter: Um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen, übertragen wir heute im Normalfall zwei Embryos. Damit gehen wir aber auch das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft ein.

Wie häufig sind diese?

De Geyter: Wir haben etwa 20 Prozent Zwillingsschwangerschaften und ab und zu auch zweieiige Drillingsschwangerschaften. Wir würden lieber nur noch einen Embryo übertragen.

Und dazu braucht es das neue Gesetz?

De Geyter: Wenn wir nur noch einen Embryo einpflanzen, müssen wir entscheiden, bei welchem die Chance auf eine gute Entwicklung am grössten ist. Das neue Gesetz würde das erlauben. Es ermöglicht die Kryokonservierung, also das Einfrieren der Embryonen. Dadurch könnten wir mit weniger Eingriffen in kürzerer Zeit mehr Schwangerschaften herbeiführen, aber nur noch Einlingsschwangerschaften. Das wäre eine enorme Entlastung für die Frauen und würde die Chance auf ein gesundes Kind erhöhen.

Was stört Sie daran, Frau Lippmann?

Lippmann: Wie gesagt, mit den vorgesehenen Gentests führt das Gesetz zu schrankenloser Selektion, die niemand kontrollieren kann. Mit einer moderaten Änderung hat das nichts zu tun. Wir ändern hier den Umgang mit dem Menschen, das menschliche Leben wird bewertbar. Doch Leben ist grundsätzlich zu schützen.

Werden Sie darüber entscheiden, was wertes und unwertes Leben ist, Herr De Geyter?

De Geyter: Um Paaren, die von schweren Erbkrankheiten betroffen sind, zu helfen, ein gesundes Kind zu bekommen, will der Gesetzgeber die Chromosomen-Analyse erlauben. Das ist ein ähnliches Verfahren, wie wir heute mit der Pränataluntersuchung praktizieren, nur zu einem früheren Zeitpunkt.

Lippmann: Das können Sie doch nicht vergleichen. Wenn eine schwangere Frau einen Pränataltest macht und dabei ein auffälliges Resultat eine Chromosomenstörung festgestellt wird, kann sie sich mit Fachleuten und der Familie besprechen und einen reifen Entscheid treffen. Bei der PID wählt man einfach den besten Embryo aus und verwirft die anderen.

De Geyter: Durch die Konservierung ist auch bei der PID ein reifer Entscheid möglich. Aber es wäre doch schizophren, einen Embryo zu übertragen, bei dem zwar die Erbkrankheit nicht da ist, aber eine Chromosomenstörung.

Aber würde das nicht dazu führen, dass dann ein Embryo, der die Anlage für Trisomie 21 hat, gar nicht erst eingesetzt wird? Erfährt das Paar davon erst in der achten Schwangerschaftswoche, würde es das Kind vielleicht behalten.

De Geyter: Alles redet immer über Trisomie 21. Die kommt aber nur in etwa 4,2 Prozent der Fälle vor. Andere Chromosomenstörungen wie Trisomie 16 sind viel häufiger und auch gravierender, denn die Embryos entwickeln sich meist nicht, es kommt zu einer Fehlgeburt.

Lippmann: Mit dem Gesetz kommt es dafür zu vielen überzähligen Embryos. Was passiert mit denen? In China und England werden Genmanipulationen an Embryonen gemacht! Sie werden jetzt sagen, dass das in der Schweiz verboten bleibt. Aber ich frage: Wie lange? Wenn man sich anschaut, was die Genomchirurgie heute schon kann, muss man doch zugeben, dass das nicht ohne Folgen für uns bleiben wird. Es werden zu Forschungszwecken bereits Eingriffe in die Keimbahn vorgenommen! Das ist keine normale Entwicklung, sondern hochgefährlich. Dieser Entwicklung gehören Schranken gesetzt. Und dafür setze ich mich ein.

Herr De Geyter, das hat etwas: Können wir uns solchen Entwicklungen verweigern?

De Geyter: Die verbrauchende Embryonenforschung hat mit diesem Gesetz nichts zu tun. Und wir alle werden nicht mehr erleben, dass Manipulationen in die Keimbahn erlaubt werden, weil diese Entwicklung zu weit von uns entfernt ist. Wir diskutieren hier über die PID. Da geht es darum, schwere Erbkrankheiten zu verhindern, die nicht behandelbar sind. Designerbabys sind eine Erfindung der Medien. Keine Klink der Welt wäre so anmassend. Stellen Sie sich mal vor, eine Klink bietet das an. Und nachher ist das Kind nicht so schön oder klug wie versprochen ... Gibt es dann eine Geld-zurück-Garantie? Nein, das ist nicht möglich!

Geschlechtsselektion scheint nicht so unmöglich.

De Geyter: Zur Verhinderung von geschlechtschromosom gebundenen Krankheiten machen wir das heute schon. Aber auf Wunsch gibt es das nicht, das neue Gesetz verbietet das ausdrücklich.

Finden Sie das richtig?

De Geyter: Ja.

Lippmann: Aber was macht ein Embryologe, wenn er weiss, dass sich das Paar ein Mädchen wünscht? Das ist doch nicht kontrollierbar!

Wo wäre denn für Sie die Grenze des Vertretbaren erreicht?

De Geyter: Ich kann gut mit dem Gesetz leben, das auf dem Tisch liegt.

Lippmann: Weil Sie nur den Kinderwunsch der Paare vor Augen haben. Das reicht nicht.

Sondern?

Lippmann: Wir müssen akzeptieren, dass sich nicht alle unsere Bedürfnisse befriedigen lassen. Das Leben bringt auch Bürde und Leid. Eine Möglichkeit, zu einem Kind zu kommen, ist übrigens auch die Adoption.

De Geyter: Sie sagen, dass Paare, die eine schwere Erbkrankheit haben, sich nicht fortpflanzen sollen. Da ist für mich Selektion und Eugenik. Und es ist arrogant – vor allem, wenn man selbst gesunde Kinder hat.

Lippmann: Also, Eugenik können Sie mir nicht unterschieben! Dabei geht es um die Auswahl des Besten. Dass man die Möglichkeit zur PID allen Paaren eröffnet und nicht nur jenen, die von einer schweren Erbkrankheit betroffen sind, zeigt, dass dahinter gewichtige Interessen stehen. Beispielsweise an den überzähligen Embryonen.

Sie sind also nur aufs Geld aus, Herr De Geyter!

De Geyter: Nein, dann wäre ich nicht an einem Unispital. Ausserdem wird das Gesetz dazu führen, dass wir weniger therapieren müssen. Es wird schneller zu einem Entscheid kommen, hoffentlich zu einem positiven, eventuell aber auch zu einem negativen. Ich möchte den betroffenen Paaren einfach helfen. Denn im Ausland bekommen sie nicht immer die beste Behandlung.

Lippmann: Als Ärztin kann ich das verstehen. Aber wir können doch nicht nur auf unsere Patienten schauen, sondern müssen und auch fragen, welche Folgen unsere Entscheide haben. Als Psychotherapeutin habe ich viel mit schwierigen Familienbeziehungen zu tun, gerade, wenn Eltern alle Hoffnungen in ein Kind setzen. Wenn noch mehr Geld dahinter ist, kann das immensen Druck geben. Erste Versicherungen verlangen schon bestimmte Tests, bevor sie Kinder, die noch gar nicht auf der Welt sind, aufnehmen. Dies gefährdet die Solidarität mit behinderten Menschen.

Herr De Geyter, müssen wir alles machen, was machbar ist?

De Geyter: Die Frage stellt sich nicht. Heute tun wir nicht, was wir tun sollten. Kommt das Gesetz nicht, müssen wir uns ernsthaft fragen, ob es noch Sinn macht, die künstliche Befruchtung in der Schweiz anzubieten.

Gehen Sie bei einem Nein am 5. Juni ins Ausland?

De Geyter: Ich stehe bald vor der Pensionierung, mich würde es nicht mehr betreffen. Aber für die Reproduktionsmedizin in der Schweiz wäre es ein echter Rückschlag. Wir stehen kurz davor, den Anschluss zu verlieren. Schon heute sind wir zu 30 Prozent nur noch Handlanger für ausländische Zentren.

Und was machen Sie beim einem Ja, Frau Lippmann?

Lippmann: Ich werde sicher genau beobachten, wie das Gesetz umgesetzt wird. Und mich auch weiterhin gegen den Optimierungswahn und gegen die Aussortierung von Menschenleben einsetzen.

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