Steigende Gesundheitskosten
Geheimplan scheitert an Santésuisse

Versicherer, Ärzte und Kantone wollten zur Senkung der Gesundheitskosten bessere Lösungen als die Parteien und Gesundheitspolitiker. Sie trafen sich zu diskreten Spitzengesprächen. Doch die gingen schief.
Publiziert: 01.06.2019 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:07 Uhr
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Die Kosten im Gesundheitswesen steigen und steigen.
Foto: Colourbox.com
Andrea Willimann

Nichts macht den Schweizern mehr Sorgen als Gesundheit, Krankenkassen und Altersvorsorge. Auch in der Politik steht die Kosten­senkung im Gesundheitswesen ganz oben auf der Dringlichkeitsliste.

Entsprechend gross ist der Ärger bei den wichtigsten Akteuren – Kantone, Versicherer, Ärzte und Spitäler –, dass die Par­teien ihre Reformvorschläge lieber für den Wahlkampf ­nutzen und mit Initiativen bewirtschaften. Doch statt weiter die Faust im Sack zu machen, formierten sich die Akteure im Geheimen!

Spitzentreffen im Turmzimmer

Wie SonntagsBlick weiss, trafen sich Vertreter der kantonalen Gesundheits­direktoren (GDK), der Versicherungsverbände Santésuisse und Curafutura sowie der Spital- und Ärzte­organisationen H+ und FMH zu insgesamt sechs vertraulichen Gesprächen auf höchster Ebene. Der 
Ort für das erste Spitzen­treffen Ende April 2018 
war mit dem Turmzimmer des Berner Münsters bewusst gewählt: Die Teilnehmer sollten den Parteien mit Weitsicht und einem grossen Wurf die Show stehlen.

Dumm nur: Die Idee des damaligen GDK-Präsidenten Thomas Heiniger (ZH, 62) wurde zum Rohrkrepierer. Eine mühsam ausgehandelte Erklärung blieb ohne Unterschriften. Letztlich ging es nur noch da­rum, das Scheitern gemeinsam zu verschweigen.

Pikant: Der Streit drehte sich um ähnliche Massnahmen, wie sie die Gesundheitskommission des Nationalrats (SGK) gerade erst in diesem April dem Bundesrat vorgeschlagen hat.
So etwa, dass die Kantone bei stationären und ambulanten Behandlungen neu jeweils einen gleichen Kostenanteil von etwa 20 Prozent übernehmen. Heute zahlen sie bei ambulanten Spitalleistungen nichts, bei stationären mindestens 
55 Prozent. Unter die «Einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen» soll später auch die Langzeitpflege im Heim oder durch die Spitex fallen.

Brand will bei den Ursachen ansetzen

Eine radikale Forderung, welche die Gesundheits­direktoren nach den sechs Geheimgesprächen endlich durchgesetzt glaubten. Doch Santésuisse scherte aus, wie ihr Präsident, SVP-Nationalrat Heinz Brand (63, GR), bestätigt. Der Einbezug der Pflege sei zwar gemäss der reinen Lehre richtig, die Folgen für die Prämienzahler seien jedoch schwerwiegend: «Auch auf längere Sicht ist der integrale Einbezug der Pflege ein massiver Kostentreiber, der die Tragbarkeit der Prämienlast für die Versicherten sprengt.» Statt bei der Verteilung der Kosten sei, so Brand, besser und rasch bei den Ursachen anzusetzen.

CVP-Gesundheitsinitiative sorgt für Druck

Geht es nach den Parteien, soll die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in der nächsten Legislatur grösste Priorität haben. Die CVP will mit ihrer Kostenbremse-Initiative die Kosten deckeln. Laut CVP-Nationalrat und Kampagnenchef Stefan Müller-Altermatt (SO, 42) sind gut 50'000 der nötigen 100'000 Unterschriften ein Jahr vor Fristablauf zusammen.

Die SP wiederum hat ihre Prämien-Entlastungs-Initiative für grosszügigere Verbilligungen lanciert. Und die FDP hausiert mit dem Vorschlag, jedermann solle steuergünstig für ein eigenes Gesundheitskonto sparen. Die Patienten sollen für Bobos selber bezahlen, die Krankenkassen deckten nur noch teurere Behandlungen ab. Mehr Eigenverantwortung fordert auch die SVP, etwa in dem schon der Gang in die Arztpraxis den Patienten etwas kosten soll. 

Für Müller-Altermatt ist klar: «Es liegt an den Akteuren im Gesundheitswesen, damit die Kosten wirklich sinken. Die richtigen Massnahmen liegen längst auf dem Tisch.» Die CVP-Volksinitiative und die Forderungen der anderen Parteien würden den nötigen Druck aufbauen. Andrea Willimann

Geht es nach den Parteien, soll die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in der nächsten Legislatur grösste Priorität haben. Die CVP will mit ihrer Kostenbremse-Initiative die Kosten deckeln. Laut CVP-Nationalrat und Kampagnenchef Stefan Müller-Altermatt (SO, 42) sind gut 50'000 der nötigen 100'000 Unterschriften ein Jahr vor Fristablauf zusammen.

Die SP wiederum hat ihre Prämien-Entlastungs-Initiative für grosszügigere Verbilligungen lanciert. Und die FDP hausiert mit dem Vorschlag, jedermann solle steuergünstig für ein eigenes Gesundheitskonto sparen. Die Patienten sollen für Bobos selber bezahlen, die Krankenkassen deckten nur noch teurere Behandlungen ab. Mehr Eigenverantwortung fordert auch die SVP, etwa in dem schon der Gang in die Arztpraxis den Patienten etwas kosten soll. 

Für Müller-Altermatt ist klar: «Es liegt an den Akteuren im Gesundheitswesen, damit die Kosten wirklich sinken. Die richtigen Massnahmen liegen längst auf dem Tisch.» Die CVP-Volksinitiative und die Forderungen der anderen Parteien würden den nötigen Druck aufbauen. Andrea Willimann

Genau dies hatte auch die Abschlusserklärung der ­Geheimgespräche vorgesehen. Damit hätten die Kantone etwa die Neuzulassung von Ärzten besser beeinflussen können. Auch die Ausarbeitung neuer Tarife im ambulanten Bereich war damals schon geplant – ein Thema, dem sich Santésuisse auch in anderen Gesprächskreisen verweigert. Der zweite Versicherer­verband Curafutura jedenfalls hätte die ganze Erklärung unterschrieben, wie sein Präsident, FDP-Ständerat Josef Dittli (62, UR), sagt.

Doch der Mist ist geführt. Den nächsten, vielleicht entscheidenden Wurf kann nun Gesundheitsminister Alain Berset (47, SP) wagen. Jetzt liegt es am Bundesrat, wie er sich zur Vorlage der SGK stellt. Denn so bitter es für die Akteure ist: Wenn der es nicht schafft, versprechen tatsächlich nur noch die Initiativen der Parteien Bewegung.

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