SP-Bundesrat Berset über das Coronavirus
«Was heute gilt, ist morgen vielleicht schon veraltet»

Der Gesundheitsminister erklärt das Veranstaltungsverbot und warnt: Auch innerhalb der Schweiz rechnen die Behörden mit Ansteckungen.
Publiziert: 29.02.2020 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2020 um 10:52 Uhr
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Lange Gesichter in Basel: Am Freitag hat der Bundesrat bekanntgegeben, dass Grossveranstaltungen bis Mitte März verboten sind.
Foto: Keystone
Interview: Simon Marti und Camilla Alabor

Am Freitag hat der Bundesrat wegen des Coronavirus An­lässe mit mehr als 1000 Personen in den nächsten zwei Wochen verboten. Warum plötzlich diese einschneidende Massnahme?
Alain Berset: Wir beurteilen die Situation laufend und passen die Massnahmen flexibel an. Der konkrete Entscheid fiel nicht über Nacht, sondern in enger Abstimmung mit den Kantonen und Experten und war als Op­tion schon seit längerem auf unserem Radar. Weitere Massnahmen behalten wir uns vor.

Was heisst das konkret?
Wir beobachten die Situation seit Beginn. Es ist gut möglich, dass wir schon bald weitere Verhaltensempfehlungen abgeben werden. Für den Bundesrat ist klar: Er will die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten.

Dann war der Entscheid keine Reaktion auf die Kritik, dass man zu wenig offensiv kommuniziere?
Nein. Wir informieren, welches Verhalten nötig ist und welche Massnahmen ergriffen werden. Im Vorfeld des Bundesratsentscheids waren Veranstaltungen wie der Engadin Skimarathon abgesagt worden, während andere weiterhin durchgeführt wurden. Das führte zu Verwirrung. Wir schaffen Klarheit. Für die Bevölkerung und für die Kantone.

Was hatte sich denn am Freitag geändert, im Vergleich zu vorher?
Die Entwicklung verlief rasant. Die erste Erkrankung verzeichnete die Schweiz am Dienstag, drei Tage später waren es bereits über zehn. Zudem wurden sowohl in Italien wie in Deutschland Fälle gefunden, bei denen man die Infektionskette nicht mehr nachvollziehen konnte: wo man also nicht wusste, wer sich wie angesteckt hat. Das wollen wir so lange wie möglich verhindern. Wir müssen damit rechnen, dass es auch in der Schweiz zu Ansteckungen kommt.

Aber schaffen nicht genau solche Verbote erst die Unsicherheit in der Bevölkerung?
Die Unsicherheit war schon seit Tagen da. Hätten wir weitere Grossanlässe zugelassen, wäre die Gefahr gross, dass wir die Kenntnis über die Infektionsketten verlieren. Das würde es viel schwieriger machen, das Virus und dessen Ausbreitung einzudämmen.

Aber alle dürfen wir weiter Zug fahren. Das ist doch ein Widerspruch.
Schon die Absage von Gross­anlässen ist ein massiver Eingriff. Was würden Sie erst sagen, wenn wir den öffentlichen Verkehr stoppen? Dort hat die Bevölkerung die Möglichkeit, gewisse Hygienemassnahmen zu ergreifen. In einer Menschenmenge nicht.

Und eine Menschenmenge beginnt genau bei 1000 Leuten?
Ab 1000 Teilnehmenden ist ein Anlass verboten. Bei weniger Teilnehmenden machen die Kantone mit den Veranstaltern eine Risikoabwägung und entscheiden. Aber so eine Zahl hat natürlich immer etwas Willkürliches, das ist so.

Sorgen Sie sich nicht um die wirtschaft­lichen Folgen?
Die gibt es in jedem Fall: sowohl wenn der Bundesrat einen solchen Entscheid fällt, als auch wenn er es bleiben lässt – und sich die Lage verschlimmert. Dann können noch viel höhere Kosten entstehen, wie ein Blick in andere Länder zeigt.

Frankreich und Deutschland sagen keine Veranstaltungen ab. Warum geht die Schweiz voran?
Weil wir wie gesagt die Infek­tionsketten noch im Griff haben. Andere Länder interessiert, wie wir mit der Situation umgehen. Und wenn Sie nach Italien schauen, stellen Sie fest, dass die Politik nach einer gewissen Zeit des Abwartens gezwungen war, noch viel einschneidendere Massnahmen zu ergreifen, wie ganze Gebiete unter Quarantäne zu stellen.

Es kursieren Worst-Case- Szenarien, in denen von Tausenden von Toten die Rede ist. Wie schätzen Sie solche Berechnungen ein?
Wir stützen uns bei unseren Entscheiden auf unsere Spezialisten, die mit anderen weltweit ständig im Austausch stehen. Wir wissen noch wenig über dieses neue Coronavirus. Wir lernen jeden Tag dazu. Was heute gilt, ist morgen vielleicht schon veraltet. Die Spannbreite der möglichen Szenarien ist daher sehr gross und verlässliche Projektionen sind schwierig.

Wie haben Sie persönlich Ihr Verhalten angepasst?
Ich habe mir schon immer oft die Hände gewaschen und tue dies noch vermehrt. Wichtig ist zudem, in den Ellbogen zu niesen und bei Krankheit zu Hause zu bleiben.

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