SP-Bundesrat Alain Berset über die Erdogan-Affäre, Designerbabys und Tabakwerbung
«Freie Meinungs-Äusserung gilt auch für dieses Bild!»

Bundesrat Alain Berset stärkt in der Erdogan-Affäre den Genfern den Rücken, kämpft im Parlament für strengere Tabak-Werbeverbote und will das Volk vom neuen Fortpflanzungsmedizin-Gesetz überzeugen. Das grosse BLICK-Interview mit dem SP-Magistraten, der sich in der Tabak-Frage als «einer der liberalsten Minister» sieht.
Publiziert: 26.04.2016 um 21:12 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 06:02 Uhr
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«Wir können nicht wie Vogel Strauss den Kopf in den Sand stecken.»
Foto: Daniel Rihs
Sermîn Faki und Ruedi Studer; Fotos: Daniel Rihs

Herr Berset, die Türkei fordert in Genf die Entfernung eines Erdogan-kritischen Fotos aus einer Ausstellung. Was sagen Sie als Kulturminister zu dieser Einmischung?

Alain Berset: Die Meinungsäusserungsfreiheit ist für die Schweiz ein wichtiger Wert. Diese gilt insbesondere auch für Künstlerinnen und Künstler und ihre Aktivitäten und meiner Ansicht nach auch für dieses Bild.

Genf lehnt das Gesuch ab. Sie hätten also auch so entschieden?

Es ist keine Ausstellung des Bundes, wir wurden dazu nicht konsultiert und haben diese auch nicht finanziell unterstützt. Die Entscheidungskompetenz liegt bei den lokalen Behörden und der Genfer Stadtrat hat entschieden.

Sollte die Türkei um Strafverfolgung wegen Beleidigung eines fremden Staates ersuchen, wäre die Bundesanwaltschaft dafür zuständig. Nötig wäre dazu aber eine vorgängige Ermächtigung durch den Bundesrat. Würden Sie diese erteilen?

Diese Frage stellt sich derzeit nicht.

Themenwechsel: Sie stehen mitten im Abstimmungskampf zum Fortpflanzungsmedizin-Gesetz. Pfuschen wir der Natur damit nicht ins Handwerk?

Die Menschheit greift immer wieder in die Natur ein. Vor allem, um schlimmes Leid zu verhindern. Das gilt auch für die Präimplantationsdiagnostik (PID): Sie gibt uns viele Möglichkeiten. Wir begrenzen jedoch den Anwendungsbereich stark. Sie darf nur eingesetzt werden um Paaren zu helfen, die sich in einer schwierigen Situation befinden

Öffnen Sie damit nicht die Büchse der Pandora – in Richtung Retter- und Designerbabys?

Die PID existiert, sie wird in allen umliegenden Ländern teilweise seit Jahren praktiziert. Da können wir nicht wie Vogel Strauss den Kopf in den Sand stecken! Wir können betroffenen Paaren doch nicht sagen, sie müssten halt entweder ins Ausland gehen oder ein Baby quasi auf Probe zeugen und allenfalls die Schwangerschaft abbrechen, wenn das Kind an einer schweren Krankheit leidet. Zentral für mich ist, dass wir sehr enge Grenzen definiert haben.

Das Parlament hat die Grenzen aber deutlich verschoben. Das jetzige Gesetz geht viel weiter, als Sie ursprünglich wollten.

Der Bundesrat wollte die PID nur für Paare zulassen, die von einer schweren Erbkrankheit betroffen sind. Das Parlament hat das erweitert auf Paare, die eine künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen, weil sie auf natürlichem Weg nicht Eltern werden können. Mit der PID soll erreicht werden, dass die Schwangerschaft möglichst ohne Komplikationen verläuft und die Frau das ungeborene Kind nicht verliert. Damit hätten wir immer noch eine sehr restriktive Regelung gegenüber anderen Ländern, wo beispielsweise Retterbabys erlaubt sind.

So restriktiv ist die Regelung auch wieder nicht. Mit der Bundesratslösung würden jährlich 50 bis 100 Paare die PID beanspruchen. Jetzt reden wir von 500 bis 1000.

Ja, der Bundesrat wollte eine restriktivere Lösung. Andererseits nehmen viele dieser Paare die PID heute schon in Anspruch – einfach im Ausland. Es ist besser, wenn sie das in der Schweiz tun können, mit unseren Regeln und Qualitätsanforderungen.

«Wir können nicht wie Vogel Strauss den Kopf in den Sand stecken.»
Foto: Daniel Rihs

Sie wollen also einfach das Fortpflanzungsgeschäft in die Schweiz holen.

Das ist sicher nicht das Ziel. Wir nehmen vielmehr unsere politische Verantwortung wahr und schieben die Tatsache, dass viele Schweizer Paare dafür ins Ausland gehen, nicht einfach weg. 

Wenn man in wenigen Jahren im Ausland Augenfarbe, Intelligenz, Geschlecht wählen kann? Dann ziehen wir auch nach?

Nein, das steht nicht zur Diskussion. Die heutige Situation mit dem totalen Verbot ist einfach nicht haltbar.

Besonders umstritten ist das Chromosomen-Screening für unfruchtbare Paare. Embryonen, bei denen mit einer Behinderung gerechnet werden muss, werden dann selektiert. Ist das nicht gefährlich?

Beim Chromosomen-Screening geht es darum, diejenigen Embryonen auszuwählen, die über das grösste Entwicklungspotential verfügen. Damit soll wenn möglich verhindert werden, dass die Frau das Kind verliert.

Wenn wir schon bei den Kosten sind: Die PID ist sehr teuer. Ist es für Sie als Sozialdemokrat nicht unfair, dass sich das nur Reiche leisten können?

Es geht hier nicht um die Behandlung einer Krankheit. Daher ist es vertretbar, dass die Betroffenen selbst dafür aufkommen.

Was passiert, wenn das Volk am 5. Juni Nein sagt?

Die Bevölkerung hat der Verfassungsgrundlage letztes Jahr deutlich zugestimmt. Ein Nein würde also bedeuten: Die Bevölkerung will eine Änderung, dieses Gesetz geht ihr aber zu weit. Dann müssen wir eine Zwischenlösung finden.

Holen Sie dann einfach die strengere Bundesrats-Vorlage aus der Schublade?

So einfach ist das nicht. Es wäre zwar eine Möglichkeit, die PID nur für Paare mit schweren Erbkrankheiten zuzulassen. Aber es gibt andere Punkte, die wir anschauen müssten. Ein Nein würde sicher neue Diskussionen auslösen.

Aber Ihr Wunsch wäre schon, eine rasche Lösung zu bringen und nicht wieder 15 Jahre ins Land gehen zu lassen?

So lange würde es nicht dauern. Doch wie schnell wir wären, kann ich beim besten Willen nicht sagen.

Im Moment sieht es eher nach einem Ja aus. Wann würde das Gesetz in Kraft treten?

Wir müssten zunächst eine Verordnung erarbeiten und diese in die Anhörung schicken. Ich schätze, wir wären Anfang 2018 bereit. Bei einem Nein ginge es natürlich länger.

Sie sind Gesundheitsminister – bei ihren politischen Gegnern tragen Sie aber noch einen anderen Titel. Wissen Sie welchen?

Da habe ich schon sehr viele gehört. Verraten Sie es mir!

Sie gelten als «Bevormundungsminister», der den Leuten vorschreiben will, wie sie sich zu verhalten haben. Gerade aktuell beim Tabakprodukte-Gesetz.

Dieser Titel passt überhaupt nicht! Beim Tabakprodukte-Gesetz bin ich einer der liberalsten Minister! Unsere Vorlage wäre eines der wirtschaftsfreundlichsten Gesetze in ganz Europa und sogar weltweit. Mit dieser Minimimalvariante könnten wir die WHO-Tabakkonvention gerade noch ratifizieren. Dazu haben wir uns im 2004 verpflichtet und es gibt nur wenige Länder wie Kuba oder Mosambik, die nicht ratifiziert haben. Wir befinden uns da in einem speziellen Klub.

Die zuständige Ständeratskommission will das Gesetz aber an den Bundesrat zurückweisen. Sie hält Ihre Tabakwerbeverbote für unsinnig und marktwidrig.

Wer von Bevormundung oder einem Angriff auf die Marktwirtschaft spricht, attackiert auch die vielen Kantone, die solche Verbote bereits kennen. In diesen geht die Zahl der Rauchenden stärker zurück als in anderen – die Werbeeinschränkungen funktionieren also. Wir wollen vor allem eine schweizweit einheitliche Regelung bei der Tabakwerbung und beim Verkaufsverbot an Minderjährige.

Im jetzigen Parlament haben es Werbeverbote schwer. Hoffen Sie, dass die Ständeräte doch noch vernünftig werden?

Die Frage ist, ob wir unsere Verantwortung wahrnehmen und die Jugendlichen vor den gesundheitlichen Folgen des Rauchens schützen. Der Bundesrat hat seine Pflicht erfüllt. Wir verbieten keine Tabakprodukte, sondern wollen nur die Werbung beschränken. Weil wir wissen, wie die Jugend auf diese reagiert.

Trotzdem droht ein Scherbenhaufen!

Der Bundesrat hat eine ausgewogene Vorlage präsentiert. Wenn das Parlament etwas anderes will, liegt das in seiner Verantwortung. An der heutigen Situation würde sich aber nichts ändern. Damit müsste ich leben. Voilà.

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