SP-Badran teilt gegen Immo-Branche aus
«Wer kann in Bundesbern eine Bilanz lesen? Eben»

Was läuft schief im Schweizer Wohnungsmarkt? SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sagt, wieso für sie die grossen Konzerne schuld sind, wo es an Kompetenz fehlt – und wieso sie sich manchmal ein bisschen alleine fühlt.
Publiziert: 12:59 Uhr
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Aktualisiert: 14:41 Uhr
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Am 30. November stimmt der Kanton Zürich über die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» ab. Im Bild: Die Sugus-Häuser.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

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Frau Badran, Sie haben die Zürcher Grünliberalen von Ihrer «Vorkaufs-Initiative» überzeugen können, die dem Staat ein Vorkaufsrecht bei Immobilien einräumt. Jetzt haben Sie endlich einen Grund, nicht mehr hässig zu sein!  

(überlegt) Doch. Ich muss einmal mehr gegen Desinformation ankämpfen.

Inwiefern? 

An besagter Parolenfassung hat mein Kontrahent …

... Ex-FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger … 

… behauptet, dass der Staat eingreifen könne, wenn jemand seinem Cousin ein Haus verkaufen will. Das ist einfach falsch. Verkäufe innerhalb der Familie – bis zum vierten Verwandtschaftsgrad – sind ausdrücklich vom Vorkaufsrecht ausgenommen. Trotzdem wird von den Gegnern verbreitet, der Staat wolle jungen Familien ihr Einfamilienhäuschen wegnehmen. Gegen solche Falschbehauptungen muss ich seit Jahrzehnten antreten. Das ist ermüdend. Und macht wütend.

In der Stadt Zürich sind die Mieten in den letzten 25 Jahren um 96 Prozent angestiegen. Warum ist die Wohnpolitik so wirkungslos geblieben? 

Weil sie auf falschen Annahmen beruht. Zum Beispiel wird behauptet, dass nur mehr gebaut werden muss, damit die Mieten sinken. Das ist schlicht falsch.

Wenn es einen Nachfrageüberhang gibt, muss das Angebot erhöht werden. Ist doch logisch. 

Wir hatten bis 2021 die zweithöchste Leerwohnungsziffer aller Zeiten! Wegen der jahrelangen Negativzinsen wurde weit über die Zuwanderung hinaus gebaut. Trotzdem sind die Mieten währenddessen extrem gestiegen, obwohl sie wegen tiefer Zinsen hätten sinken sollen. Biel zum Beispiel hat die zweithöchste Leerwohnungsziffer der Schweiz von 1,7%. Die Mieten sind dort in den letzten zehn Jahren aber um 34 Prozent gestiegen.

Warum? 

Weil der Immobilienmarkt ein typischer Anbietermarkt ist: Die Menschen wollen dort wohnen, wo die Arbeitsplätze sind. Die Nachfrage nach Wohnraum übersteigt dort das Angebot. Immer, was in der Natur der Sache liegt. Das führt dazu, dass die Vermieter die Preise weitgehend selbst festlegen können. Ausser der Gesetzgeber sagt: Nein, das dürfen sie nicht. Deshalb schreibt das Mietrecht eigentlich eine sogenannte Kostenmiete mit Renditendeckel vor. Nur: Es wird nicht durchgesetzt. Die Mieterinnen und Mieter haben pro Jahr 10 Milliarden Franken zu viel Miete bezahlt, das sind 1,3 Prozent vom BIP!

Zürich hatte in den 60er-Jahren 440’000 Einwohnerinnen und Einwohner, so viel wie heute. Mit mehr Wohnungen gäbe es doch weniger Preisdruck. 

Früher hatte es auch viel weniger Bürofläche. Das eigentliche Problem ist das Verhältnis zwischen Arbeits- und Wohnplätzen: Heute kommen in Zürich auf einen Wohnplatz zwei Arbeitsplätze – das ist städtebaulich völlig ungesund. Ideal wäre ein Verhältnis von eins zu eins. Trotzdem werden weiterhin neue Bürohochhäuser bewilligt, etwa von der UBS, obwohl es schon jetzt massenhaft leere Büroflächen gibt.

Also das Narrativ, das Sie verbreiten, ist quasi ... 

Nein, nein, nein. Stopp! Kein Narrativ, ich verbreite Fakten! Fakten. Facts.

Fakt ist auch: Boden ist ein begrenztes Gut, gleichzeitig wächst die Bevölkerung durch die Zuwanderung. Aber Sie sagen, schuld an den hohen Mieten seien einzig die Spekulanten.  

Erstens: Ich spreche prinzipiell nie von Spekulation. Höchstens von Renditentreiberei. Zweitens: Haben Sie nicht zugehört? Wir haben weit über die Zuwanderung hinaus gebaut. Und mietpreisbildend ist per Gesetz nicht Angebot und Nachfrage.

Aber das sind doch vor allem Wohnungen im Hochpreissegment, zum Beispiel Business Apartments für Expats. 

Das ändert aber nichts daran, dass wir mehr gebaut haben. Natürlich ist es nicht toll, wenn immer mehr Business Apartments oder Airbnbs entstehen und reiche Zuwanderer problemlos 6000 Franken für eine Dreizimmerwohnung zahlen. Das treibt die Preise weiter rechtswidrig hoch.

Wie könnte man gegensteuern? 

Erstens müsste das Mietrecht mit seinem Renditedeckel endlich durchgesetzt werden, indem man periodisch überprüft, ob Vermieter überhöhte Renditen erzielen. Zweitens kann man Wohnungen den renditeorientierten Immobilienfirmen entziehen und in den gemeinnützigen Bereich überführen – etwa in Genossenschaften. Genau dafür ist das Vorkaufsrecht gedacht: Es ermöglicht, Boden von der Profitlogik zurück ins Eigentum der Bevölkerung zu holen. Und auch die Rechnungslegungsvorschriften für Immobilien müssten geändert werden. Seit 2005 müssen Pensionskassen ihre Immobilienbestände nach dem Verkehrswert ausweisen. Das heisst, der Wert richtet sich nach künftigen Erträgen – also nach künftigen Mieten. Je höher also die Mieten, desto höher der Bilanzwert, desto grösser der Gewinn auf dem Papier. Und diese Bilanzgewinne werden dann als Dividenden ausgeschüttet.

Was heisst das konkret für die Mieterinnen und Mieter? 

Die Fonds, Immobilienkonzerne und Pensionskassen haben einen Anreiz, Mieten zu erhöhen oder ganze Siedlungen abzureissen, um Erträge zu steigern. Ich war gerade in Kloten: Dort wurde eine 30-jährige Überbauung der ZKB-Pensionskasse komplett abgerissen. So lassen sich die Mieten in kurzer Zeit vervielfachen. Würde man hingegen warten, bis Mieter freiwillig ausziehen, könnte man die Miete nur schrittweise erhöhen. Das dauert Jahre und bremst den Bilanzgewinn. Darum wird lieber abgerissen und neu gebaut, auch weil die Baukosten in dieser Logik keine Rolle spielen. Das muss aufhören! Die renditeorientierte Immobilienwirtschaft muss ihr Kapital parkieren. Das ist der grosse Preis-Treiber, nicht die Zuwanderung. Aber die Medien berichten nicht darüber.

Naja. Die Journalisten mögen Sie. 

Aber es fehlt an Kompetenz!

Nicht nur in den Redaktionen. 

Richtig. Wer kann in Bundesbern eine Bilanz lesen? Eben.

In Bundesbern – sorry, dass wir wieder damit kommen – herrscht die Meinung vor, dass das Bevölkerungswachstum eben doch auch mit dem überhitzten Immobilienmarkt zu tun hat. 

Es hat insofern damit zu tun, dass unsere Tiefsteuerpolitik Unternehmen und damit zahlungskräftige Expats anzieht, die wiederum den Bedarf an zusätzlichen Pflegerinnen, Handwerkern und Lehrpersonen erzeugen. Und ich habe nichts gegen mehr bauen! Ich sage nur: Mehr bauen hilft nichts gegen die viel zu hohen Mieten. Wir haben via Lockerung der Lex Koller Hunderte Milliarden ausländisches Kapital reingelassen. Das ist entscheidend.

Okay, also … 

Nicht okay! Haben Sie das begriffen? Zu viel Kapital, das sich um den Boden balgt. Das macht alles teurer. Ich glaube, wir müssen abbrechen, ich sehe schwarz.

Wieso das denn? 

Weil Sie das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenken wollen, anstatt dass Sie sagen: ‹Aha, interessant, dann hat die Zuwanderung gar nichts mit den Mietpreissteigerungen zu tun› …

Das ist jetzt rübergekommen.  

… dann hätte ich erwidert: ‹höchstens indirekt›.

Die Frage wäre gewesen, warum national nichts passiert.  

Sind Sie irr? Weil wir die Mehrheiten nicht haben! Wir haben einiges unternommen. Etwa eine Motion zur Durchsetzung von Mietrecht durch periodische Kontrollen. Das ist übrigens eine der besten politischen Ideen, die ich je hatte, wie meistens passierte das unter der Dusche.

Der Staat, der die Vermieter überwacht? 

Jedes Unternehmen wird bei drei Dingen periodisch einer Revision unterzogen: AHV, Mehrwertsteuer und die ordentlichen Steuern. Wenn ich mein Geld mit Turnschuhen verdiene, muss ich mich dem unterziehen – wenn ich aber mit Mieteinnahmen mein Geld verdiene, habe ich keinen Revisor im Haus. Wenn es also um das grösste volkswirtschaftliche Gut geht, gibt es keine Kontrollen, ob sich die Anbieter ans Gesetz halten. Das sollte sich ändern.

Sie haben vorhin die mangelnde Kompetenz in Bundesbern beklagt. Es gibt doch Institutionen, die dafür zuständig sind. 

Es gibt ein Bundesamt für Wohnungswesen. Die lassen nur Kaffee raus! Und im Seco hat das grösste volkswirtschaftliche Gut für das Monitoring eine 70-Prozent-Stelle. Wenn Sie den ehemaligen Volkswirtschaftsminister Schneider-Ammann oder den amtierenden Bundesrat Guy Parmelin fragen würden, wie viel der Kapitalstock der Schweizerischen Immobilien beträgt – es sind 4,4 Billionen –, dann wüssten sie das nicht.

Fühlen Sie sich in Ihrem Kampf eigentlich alleine? 

(überlegt) Ja und nein. Es fehlt an Wissen, aber ich habe meine Mitstreiter, auf die ich mich verlassen kann. Wissen Sie, ich muss das alles ja nicht für mich machen. Es geht mir um das Wohl der Leute. Vielleicht mögen mich deshalb die Leute, und ich mag sie.

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