Heute vor exakt 40 Jahren ist die Schweiz der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beigetreten. Simonetta Sommaruga (54, SP) verteidigte diese gestern an der Universität Zürich in einer engagierten Rede. «Die Menschenrechte gehören zur Schweiz wie die direkte Demokratie oder der Föderalismus», sagte die Bundesrätin.
Grundrechte würden primär dem Schutz von Minderheiten dienen, so Sommaruga. Und machte klar, dass dieser Schutz immer gelten soll, egal welche Initiativen beim Volk durchkommen: «Wir brauchen die Menschenrechte, weil wir auch in einer Demokratie nicht sicher sein können, dass die Mehrheit die Grundrechte von Minderheiten immer respektiert.»
Misstraut die Bundesrätin etwa dem Schweizer Volk? «Ganz und gar nicht», sagte sie zu BLICK. Es könne aber selbst in Demokratien vorkommen, dass der Staat willkürlich handle. «Deshalb ist es im Interesse jedes Einzelnen, seine verletzten Grundrechte einfordern zu können.»
Kleinstaaten wie die Schweiz sind laut der Justizministerin aber noch aus einem anderen Grund aufs Völkerrecht angewiesen: «Wir können alles andere als sicher sein, dass stärkere Staaten die Rechte schwächerer Staaten immer respektieren.»
Der Menschenrechtsgerichtshof, der die EMRK durchsetzt, ist derzeit unter Beschuss. Nicht nur von der SVP, die das Schweizer Recht über das Völkerrecht stellen möchte, was wohl den Austritt aus der EMRK bedeuten würde. Selbst Sommarugas Parteikollegen wie alt Bundesrichter Martin Schubarth kritisieren, der Gerichtshof mische sich zu stark in nationale Gesetze ein – und heble damit die Demokratie aus.
«Ich habe Verständnis für Kritik an einzelnen Urteilen», sagte Sommaruga dazu. Der Gerichtshof sollte erst eingreifen, wenn gemeinsame europäische Standards verletzt würden. Es gebe immer wieder Entscheide des Gerichtshofs, die mit diesem Grundsatz «nur schwer zu vereinen sind».
Hingegen war es laut der Bundesrätin schon immer klar und auch sinnvoll, dass sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs weiterentwickelt. Die Wertvorstellungen wandelten sich, so etwa bei der Prügelstrafe oder der Homosexualität. «Genau für solche Entwicklungen braucht es eine menschenrechtliche Absicherung.»
Sommaruga verlangt von ihren Landsleuten mehr Selbstsicherheit im Umgang mit dem Völkerrecht: «Wir haben diese Angst vor sogenannt fremden Richtern doch gar nicht nötig!»