Die grüne Flut bei den Nationalratswahlen hat alle überrascht – allen voran die Wahlsieger selbst. Mit Sitzgewinnen haben Grünen-Chefin Regula Rytz (57) und GLP-Präsident Jürg Grossen (50) zwar gerechnet, aber nie in diesem Ausmass. Plus 17 Sitze für die Grünen, plus 9 Mandate für die Grünliberalen. Zusammen kommen die beiden nun auf 44 Sitze in der grossen Kammer.
Damit stellt sich nun auch ernsthaft die Frage nach einem Öko-Bundesrat. Kein Wunder also, laufen die Ränkespiele in Bundesbern auf Hochtouren. Für die Bundesratsparteien steht einiges auf dem Spiel: Sie müssen um eigene Sitze zittern.
Es geht um Einflussnahme und Macht. Nun stecken die Parteien ihre Felder ab und lassen Testballons fliegen, um Position zu markieren oder Verwirrung zu stiften. Damit wird ausgelotet, wer zu welchem Deal bereit ist. Ebenso, wer zu welchem Revanchefoul. Es ist die Zeit der Strategen und Spindoktoren.
BLICK zeigt die wichtigsten Szenarien auf. Und erklärt, was dahintersteckt.
Die Krux mit der Zauberformel
Je zwei Sitze für die grössten drei Parteien, einen für die viertgrösste. Diese Zauberformel gilt bisher als Gradmesser. Nur ist nirgends festgehalten, worauf sich die «Grösse» genau beziehen soll. Ist es die Wählerstärke? Dann müsste die CVP ihren Sitz an die Grünen abgeben. Oder die Anzahl Parlamentssitze? Dann bliebe alles beim Alten. Oder werden einfach die grössten Parteien an der Macht beteiligt, sobald sie eine gewisse Stärke erreicht haben? Dann müsste die FDP einen Sitz an die Grünen abgeben. Für die CVP wäre das besonders verlockend, da sie damit auch im Bundesrat zum Zünglein an der Waage zwischen links und rechts würde.
Die Krux: Einig werden sich die Parteien nie, was unter der Zauberformel wirklich zu verstehen ist. Gültig ist jeweils jene Variante, die einem selbst am meisten Macht bringt. Die CVP klammert sich an ihre Bastion Ständerat, in der sie die stärkste Kraft ist. Die FDP ist ebenso wenig zu Konzessionen bereit. Freisinnige drohen der CVP bereits mit Revanche bei nächster Gelegenheit, sollte sie tatsächlich mit den Grünen anbandeln.
Proporz-Bundesrat
Erneut aufs Tapet kommt die Idee eines echten Proporzes für die Landesregierung. Die Sitze würden rein rechnerisch nach Parteistärke verteilt. Je nach Berechnungsmethode würde das plötzlich heissen: Zwei Sitze für die SVP und je einer für SP, FDP, CVP, Grüne und GLP. Eine Variante, die alt Bundesrat Christoph Blocher (79) in der «SonntagsZeitung» ins Spiel bringt – falls SP und FDP freiwillig auf einen Sitz verzichten.
Ein Vorschlag mit Kalkül: Blocher bringt die anderen Parteien damit gegeneinander auf. Er spielt die Grünen gegen die SP aus, die Grünliberalen gegen die FDP. Die SVP selbst kann sich zufrieden zurücklehnen, verliert sie mit dieser Variante kaum an Einfluss. In finanz- und sozialpolitischen Angelegenheiten wäre dank GLP weiterhin ein rechte Mehrheit sicher. Konzessionen müsste die SVP nur in Ökofragen machen – und könnte sich hier mit Referenden profilieren.
Neun statt sieben Bundesräte
Den Notausgang sucht auch SP-Chef Christian Levrat (49). Natürlich hätte er gerne einen grünen Sitz auf Kosten der FDP. Doch der Schock vom Wahlsonntag sitzt bei den Genossen tief.
Levrat muss befürchten, dass die Bürgerlichen den Grünen lieber einen Sitz auf Kosten der SP zuhalten als die eigenen Reihen zu schwächen. Sein Ausweg: Im «SonntagsBlick» spricht er sich für die Aufstockung des Bundesrats auf neun Mitglieder aus. «Dies gäbe mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in der Regierung zu integrieren», so Levrat.
Die SP hätte ihre zwei Sitze damit auf sicher, die Grünen ebenfalls einen. Doch wer bekommt den neunten Sitz? Die SVP oder die GLP? Das Gezänk ginge von vorne los. Kommt hinzu, dass diese Lösung nicht von heute auf morgen zu machen ist, sondern vom Volk abgesegnet werden müsste.
Für die Grünen drängt die Zeit
Doch die Zeit drängt: Am 11. Dezember wird der gesamte Bundesrat neu gewählt. Ein Rücktritt zeichnet sich keiner ab, die sieben Bisherigen treten wohl wieder an.
Die Grünen müssten also einen amtierenden Bundesrat herausfordern – und da gibt es bei vielen Parlamentariern doch noch Beisshemmungen.
Gut möglich also, dass sich die grossen Parteien darauf einigen, dass der grüne Wahlsieg in vier Jahren bestätigt oder zumindest eine passende Vakanz abgewartet werden muss. Erst dann öffnet sich die grüne Tür ins Bundesratszimmer.