Sinologe Harro von Senger erklärt Pekings Strategie
China kopiert nicht mehr, sondern kauft

In seinem neuen Buch «Moulüe – Supraplanung» beschreibt China-Forscher Harro von Senger (74) das chinesische Denksystem. Im BLICK-Interview erklärt der Professor, wie das Land an die technologische Weltspitze gelangen will.
Publiziert: 05.11.2018 um 21:09 Uhr
|
Aktualisiert: 08.11.2018 um 11:40 Uhr
China-Forscher Harro von Senger sagt, das Reich der Mitte habe womöglich Interesse am Kauf von Schweizer AKW oder Stauseen.
Foto: Adrian Ritter
Interview: Nico Menzato

2049, zum 100-Jahr-Jubiläum der Volksrepublik, will China technologisch und wissenschaftlich Weltspitze sein – vor den USA. Gelingt dies?
Harro von Senger: Bis 2049 will China umfassend ein modernisiertes, starkes Land aufbauen, in dem das Volk laut amtlicher Zielsetzung ein «schönes und gutes Leben» geniessen kann. Das zentrale Ziel ist also innen-, nicht aussenpolitisch. Es zu erreichen, könnte gelingen.

Wie? 
Durch einen breiten Fächer von Top-down-Vorkehrungen wie etwa das Joint-Venture-Gesetz von 1979, Strategien wie die «Go global»-Strategie» und die daraus hervorgegangene Seidenstrasse-Strategie, das Aktionsprogramm «Made in China 2025», den «Nationalen strategischen Rahmen für die innovationsgetriebene Entwicklung», die «Wegleitenden Ansichten betreffend die Förderung der Aktivitäten Internet plus» , den Plan «Gesundes China 2030» sowie den «Mittel- und langfristigen Entwicklungsplan für den chinesischen Fussball (2016–2050)».

Wie gelang es China, dass sein Mobilfunkhersteller Huawei ein mindestens gleich gutes Handy herstellen konnte wie Apple oder Samsung? 
Das erste Wort im wichtigsten konfuzianischen Buch heisst «lernen». Lernen ist eine chinesische Kernkompetenz. Damit sie neueste technische Errungenschaften studieren, hat China seit den 1980er-Jahren junge lernbegierige Chinesen zu Hunderttausenden an westliche naturwissenschaftlich-technische Hochschulen geschickt. Viele haben sich später in westlichen Technologie-Unternehmen weitergebildet und sind zu guter Letzt nach China zurückgekehrt – mit neuestem westlichen technischen Know-how im Gepäck. Zudem lockt China westliche Experten, vor allem auch im Seniorenalter, ins Land. Von all dem dürfte Huawei profitiert haben.

Geht die Strategie, Technologie zu kopieren, mittelfristig nicht mehr auf – und entwickelt China deshalb einen solchen Übernahmehunger?
Technologie wurde nicht nur kopiert, sondern seit 1979 vielfach durch chinesisch-westliche Joint Ventures legal erworben. Westliche Firmen mit hochwertigen Marken- und Technologieprodukten, an die über Joint Ventures nicht heranzukommen ist, kauft man nach Möglichkeit auf.

Wirft der Handelskrieg mit den USA die Volksrepublik in ihrem Bestreben zurück?
Nicht unbedingt. Chinesen verstehen es, in einer Krise (chinesisch Weiji 危机 = Gefahr 危 + Gelegenheit 机) Chancen zu erkennen und auszuwerten.

Die Schweiz diskutiert, insbesondere Energiefirmen stärker vor Übernahmen zu schützen. Hat der chinesische Staat überhaupt Interesse an einem Schweizer AKW oder einem Stausee?
Wenn durch den Kauf eines Schweizer AKWs oder Stausees eine Schlüsseltechnologie oder ein ganz wichtiges Know-how erworben werden kann, das China benötigt und auf anderem Wege nicht erlangen kann, dann besteht wohl Interesse.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?