Sie sind als politisches Greenhorn am Sonntag mit einem Glanzresultat ins Aargauer Parlament gewählt worden. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Karin Bertschi: Ich habe keine politische Erfahrung. Ich nehme drum an, dass mein unternehmerisches Engagement in der Recycling-Branche sowohl SVP, als auch Nicht-SVP-Wähler angesprochen hat.
Politikberater Mark Balsiger meinte, sie seien jung, fotogen und ein Medienstar. Das würde für eine Wahl reichen.
Ich glaube und hoffe nicht, dass dies die ausschlaggebenden Gründe sind. Schliesslich können diese Eigenschaften zahlreichen Menschen zugeschrieben werden. Ich glaube die Schweizer haben gerne Leute die anpacken und etwas bewegen – ob im Unternehmen oder in der Politik.
Sie haben zu Ihrer Wahl viele Glückwunschschreiben erhalten. Über welche haben Sie sich am meisten gefreut?
Eine 90-jährige Bekannte unterschrieb ihr Kärtchen mit «Dein Fan Josefine». Das war richtig berührend.
Strategen der SVP Schweiz sind auf Ihr Potenzial aufmerksam geworden. Laut Quellen möchte man Sie bereits für eine Nationalratskandidatur für 2019 gewinnen.
(lacht) Lassen Sie mich erst mal eine gute Arbeit machen als Grossrätin, dann sehen wir weiter.
Wer ist Ihr politisches Vorbild?
Meine Vorbilder sind vor allem aus der Wirtschaft. Querdenker – wie Albert Einstein oder Helden des Alltags. Politisch bewundere ich Pascale Bruderer – sie ist zwar politisch nicht auf meiner Linie – ihr Engagement für die Partei und die Treue zu sich selbst und ihren Überzeugungen ist jedoch bemerkenswert. Auch der Einsatz von Natalie Rickli in der Missbrauchs-Debatte imponiert mir.
Sie zählen als SVP-Neopolitikerin eine SP-Ständerätin zu Ihrem Vorbild. Nicht aber SVP-Übervater Christoph Blocher.
Ich bewundere Christoph Blocher als Unternehmer für seine Verdienste ausserordentlich. Politisch gehöre ich einer anderen Generation an.
Wann wurden Sie politisiert?
Bis 20 habe ich mich überhaupt nicht für Politik interessiert, haben mich andere Aktivitäten begeistert. Bis dahin musste mir meine Mutter auch mal mit dem Stimmcouvert hinterherrennen. Während meiner Entwicklungsreise 2014 in Haiti wurden zwei Menschenrechtsaktivisten erschossen. Da wurden mir die grossen Privilege so richtig bewusst, die wir in der Schweiz haben: Keine Korruption, direkte Demokratie, Wohlstand, Stabilität. Diese möchte ich verteidigen und das Gemeinschaftsleben aktiv mitgestalten. Toni Brunner und meine Schwester haben mich dann überzeugt, zu kandidieren.
Der damalige SVP-Chef persönlich hat Sie motiviert?
Ja, ich kenne ihn geschäftlich. Er ist der Präsident des Verbands Stahl- Metall- und Papierrecycling Schweiz.
Können Sie hinter den meisten SVP-Positionen stehen?
Das Wohl der Mitmenschen ist mir sehr wichtig. So beschäftige ich auch sozial Benachteiligte oder unterstütze ein Kinderheim in Rumänien. Besonders wichtig sind mir christliche Werte. Bei einigen Themen habe ich eine andere Auffassungen als meine Partei. Aber viele Grundwerte teile ich mit der SVP. Etwa die Forderung nach Bürokratieabbau.
Und eine Politik auf dem Buckel der Ausländer.
Wir brauchen eine Strategie für Ausländerfragen. Diese muss dann verhältnismässig konsequent angewendet werden. Asylbewerber, welche an Leib und Leben bedroht sind, sollen nicht allein mit harten Gesetzen abgeschreckt werden. Jene, die schon hier und aufnahmeberechtig sind, müssen integriert werden. Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, aufgenommene Flüchtlinge „Hausarrest“ zu verpassen, wenn sie motiviert sind, ihren Arbeitsbeitrag zu leisten.
Am 10. Januar 2017 ist die erste Grossratssitzung.
Ich bin dann zwar in Dübendorf im Militärdienst, habe aber bei meinem Vorgesetzten bereits Urlaub beantragt. Ich freue mich auf diesen Tag.
Sie wollten Militärpilotin werden. Wieso hat das nicht geklappt?
Nicht immer werden alle Träume wahr. Das Selektionsverfahren ist anspruchsvoll. Dazu war ich in der RS und der Unteroffiziersschule ein kleiner Rebell. Meine Verbesserungsideen kamen nicht immer gut an. Das kann ich aus heutiger Sicht gut verstehen. (lacht)
Die Schweiz diskutiert derzeit intensiv über Sexismus. Welche negativen Erfahrungen haben Sie in der Armee als fast einzige Frau inmitten einer Männerhorde gemacht?
Ich habe keinerlei negativen Erfahrungen gemacht. In der Armee wurde ich als gleichwertiges Mitglied anerkannt und respektiert.
Sie fühlten sich in Ihrem Leben nie sexuell belästigt?
Nein, körperlich noch nie. Verbale Äusserungen zu meinem Aussehen buche ich unter Kompliment ab. Bei zweideutigen Aussagen von Männern, welche ich nicht genau einordnen kann, frage ich nach. Manche Frauen beurteilen Schauspieler und Promis im Übrigen auch mal nach dem Aussehen und machen Sprüche. Dann schreit niemand Sexismus.
Viele Frauen empfinden aber anders – und stecken Sprüche offenbar nicht so locker weg wie Sie. Die Debatte zeigt doch: Sexismus ist ein Problem.
Ich akzeptiere die Aussagen von betroffenen Frauen selbstverständlich. Offensichtlich empfinden Frauen den Umgang mit Männern ganz unterschiedlich oder erleben schlimmere Situationen als ich.
Zur Sexismus-Debatte gehört auch die immer noch bestehende Ungleichheit. Frauen verdienen weniger, die Politik wird von Männern dominiert. Ebenso die meisten Firmen.
Für mich war und ist es ein riesiger Vorteil, eine Frau zu sein. Sowohl im Geschäftsleben, als auch im Wahlkampf. Lohnungleichheiten müssen natürlich beseitigt werden. Ich selbst bin nicht für eine Frauenquote. Unternehmen müssten eigentlich selber merken, welchen Mehrwert Frauen bringen.
Sie sind Mitglied der neuapostolischen Kirche, einer Abspaltung der katholischen Kirche. Sie singen dort im Chor und spielen Orgel. Sind Sie streng gläubig?
Ich glaube an einen liebenden Gott und denke, dass die zehn Gebote für ein schönes Zusammenleben eine gute Basis sind.
Die neuapostolische Kirche predigt aber nicht nur die zehn Gebote sondern heisst etwa Homosexualität nicht gut. Teilen Sie diese Meinung?
Ich habe in einer Predigt noch nie etwas in diese Richtung gehört. In den Leitlinien kann nachgelesen werden, dass sich die Grundlehre kritisch dazu steht, dies aber nicht verurteilt. Dass unsere Kirche sehr offen ist, zeigt die Gründung der Betroffenengruppe „Regenbogen-NAK“. Für mich sind Homosexuelle gleichwertige Menschen wie alle anderen. Ich selber habe in meinem Freundeskreis auch jemand, der homosexuell ist. Der Adoption von Kindern mit gleichgeschlechtlichen Eltern stehe ich aber skeptisch gegenüber. Weil man über die Auswirkungen auf die Kinder noch zu wenig Bescheid weiss.
Auch Sex vor der Ehe heisst die neuapostolische Kirche nicht gut.
Sie verbietet es aber auch nicht. Sex ist so etwas Intimes und Persönliches, und ich finde, das muss jeder für sich selbst entscheiden.