Natalie Rickli ist berufstätig, Nationalrätin und Vize-Fraktionspräsidentin. Verwundert Sie das Burnout im Alter von 35 Jahren?
Joe Hättenschwiler: Das muss nicht erstaunen. Natalie Rickli kam in sehr jungen Jahren schon in anspruchsvolle Funktionen. Doch jeder Mensch, egal welchen Alters, kann sich immer nur eine bestimmte Zeit lang völlig verausgaben. Wer die Notbremse nicht zieht, läuft in ein Burnout.
Das heisst, Frau Rickli hat sich zu lange überfordert?
Ja, Burnout ist die Folge von chronischer Überlastung. Gerade eine Frau wie Natalie Rickli gehörte bisher zur Sorte der sehr belastbaren Personen. Es ist einfach eine Frage der Akkumulation von Belastungen.
Was heisst das konkret?
Wenn die Überlastung im Beruf, im politischen Amt und vielleicht noch im Privatleben zunimmt, reagiert der Organismus und Burnout ist eine häufige Folge. Viele Personen werden geradezu Opfer ihres Erfolgs, weil dieser in eine Spirale von Belastungen führt. Nun traf es offenbar Frau Rickli.
Welche Menschen sind besonders gefährdet?
Es sind oft die besten Mitarbeiter in einem Unternehmen. Es sind leidenschaftliche Menschen, die für eine Sache brennen können. Besonders gefährdet sind Personen, die einerseits sehr engagiert, leistungsbereit, perfektionistisch, harmoniebedürftig sind und sich hohe Ziele setzen. Andererseits sind sie jedoch zu wenig auf Entspannung und Erholung bedacht.
Wo liegt die Gefahr für Burnout bei Politikern?
Heutige Parlamentarier sehen sich mit rasch wachsenden Anforderungen konfrontiert. Es sind dies Mehrfachbelastungen von Beruf, Politik, Familie. Hinzu kommt der Druck seitens der Medien und die rasante Beschleunigung durch die modernen Kommunikationsmittel wie Handy, Facebook, Twitter etc, die eine ständige Erreichbarkeit nicht nur ermöglichen, sondern auch verlangen. Immer grössere Dossiers, lange Sitzungen, soziale Verpflichtungen, ständiges unterwegs sein, oft auf Kosten des Schlafs, tragen das weitere dazu bei. Allfällige Niederlagen, beruflich, politisch oder privat, verschärfen die Gefahr eines Burnouts zusätzlich.
Welches ist die beste Therapie für Natalie Rickli?
Es gibt nicht die eine «beste» Therapie, sondern die Therapie, die auf die betroffene Person individuell zugeschnitten ist. Wichtig ist zunächst, sich einzugestehen, dass man nicht mehr kann, dies keine Schande ist und jedem passieren kann.
Wie können Fachärzte konkret helfen?
Zuerst erfolgt eine gründliche medizinische und psychiatrische Abklärung. Dann müssen Betroffene entlastet werden, dazu gehört oft auch eine kurzfristige Krankschreibung. Grundlegend sind regelmässiger und ausreichender Schlaf, ausgewogene Ernährung und körperliche Bewegung wichtig. Öfters ist aber auch eine medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen, depressiver Verstimmung und von Angst erforderlich. Weiter geht es darum individuellen körperlichen und seelischen Grenzen zu erkennen und die Arbeits- und Lebensziele entsprechend seinen Ressourcen anzupassen. Und das bedeutet auch zu lernen «nein» zu sagen und nicht alle Anfragen und Einladungen anzunehmen.