Viel zu jubeln haben die Grünen normalerweise nicht. Bis vor einem Jahr liefen sie mit ihren umweltpolitischen Forderungen im bürgerlich dominierten Parlament regelmässig auf. Nun aber kann die Öko-Partei einen Sieg feiern: In Zukunft sollen weniger Pestizide auf Schweizer Feldern, Bahngleisen und im Trinkwasser landen. Das hat die Wirtschaftskommission des Ständerats vergangene Woche entschieden.
Zwar bleibt der Vorstoss ziemlich im Ungefähren – so will man die «Risiken» von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent senken, ohne genau zu definieren, was damit gemeint ist: die Menge versprühter Pestizide, ihre Langlebigkeit oder die Gefahren für Mensch und Umwelt.
Doch der Beschluss nimmt mehrere Punkte auf, für die sich Grüne und SP bisher erfolglos einsetzten. So kann der Bundesrat künftig Lenkungsabgaben einführen, wenn Pestizid-Reduktionsziele nicht erreicht werden. Damit würde der Anreiz geringer, solche Mittel einzusetzen. An Orten, wo Trinkwasser über längere Zeit hinweg stark verschmutzt ist, muss der Bund die Zulassung der Pestizide erneut prüfen.
Entgegenkommen hat taktische Gründe
«Der Beschluss ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung», freut sich Grünen-Ständerätin Adèle Thorens (48, VD). Sie weiss aber auch: Das Entgegenkommen ihrer bürgerlichen Ratskollegen hat taktische Gründe. Die Parteien von SVP bis CVP wollen nicht mit leeren Händen dastehen, wenn – voraussichtlich im nächsten Jahr – der Abstimmungskampf um die Pestizid- und Trinkwasser-Initiative losgeht.
Die Pestizid-Initiative verbietet den Einsatz von synthetischen Pflanzenschutzmitteln in der Schweizer Landwirtschaft ebenso wie den Import damit behandelter Produkte. Ziel der Vorlage ist ein konsequenter Pestizid-Ausstieg. Die Trinkwasser-Initiative hingegen nimmt die Direktzahlungen ins Visier: Nur Bauern, die ohne Pflanzenschutzmittel arbeiten, sollen weiterhin Steuergelder erhalten.
Der Bauernverband weibelt an vorderster Front gegen die beiden Vorlagen und hat mit seiner Vorkampagne schon im März begonnen: In Inseraten auf Newsportalen wirbt er mit dem Argument, dass Schweizer Bauern «immer weniger Pflanzenschutzmittel brauchen». Oder dass 40 Prozent dieser Mittel biologisch sind.
Meinungen scheiden sich
Doch innerhalb der Landwirtschaft sind die Meinungen über die Pestizid-Initiative geteilt. So empfiehlt die Vereinigung der Kleinbauern ein Ja. «Statt ständiger Symptombekämpfung ist ein Systemwechsel nötig», erklärt Präsidentin Regina Fuhrer (61). «Die Politik der kleinen Schritte ist vorbei.»
Angesichts der «riesigen Herausforderungen» für Umwelt, Biodiversität und Klimakrise müsse auch die Landwirtschaft ihren Beitrag leisten, findet Fuhrer: «Es ist im Interesse von uns Bauern, einen fruchtbaren Boden und ein gesundes Ökosystem zu erhalten – und sicherzustellen, dass wir unser Trinkwasser nicht vergiften.»
Markus Ritter (53), CVP-Nationalrat und Präsident des ungleich grösseren Bauernverbands, hält dagegen. Ein Ja würde bei den Lebensmitteln «einen Preisanstieg von 20 bis 40 Prozent mit sich bringen», da künftig sämtliche Produkte aus biologischem Anbau stammen müssten.
International nicht mehr konkurrenzfähig
Mindestens ebenso gravierend sind die wirtschaftlichen Folgen laut Ritter: Der Schweizer Kaffee-Export und die Verarbeitung von Schokolade würden durch die Initiative gefährdet, da künftig nur noch Rohstoffe in Bioqualität verwendet werden dürften. «Die betroffenen Industrien wären international nicht mehr konkurrenzfähig und würden aus der Schweiz verschwinden.»
Während die Landwirtschaft also gespalten ist, geniesst die Pestizid-Initiative in der Bevölkerung durchaus Sympathien. In einer Umfrage vom Mai 2019 sprachen sich 69 Prozent der Befragten für die Vorlage aus.
Allerdings nimmt die Zustimmung zu vergleichbaren Initiativen in der Regel ab, je näher der Abstimmungstermin kommt.
Beide Lager dürfen also weiterhin hoffen.