Er hat es im Rücken. Regelmässig muss Skisportfunktionär Adolf Ogi im Jahre 1970 deshalb zu Chiropraktiker Huggler nach Biel. Mit seinem roten Volvo fährt der 28-Jährige an einem schönen Frühlingsabend nach überwundener «Kneterei» nicht auf direktem Weg nach Hause. Er will, kurz entschlossen, noch einen Umweg über Fraubrunnen machen. Es herrscht eine herrliche Fernsicht in die Alpen.
Er möchte zwei von seinen Schulkameraden aus der «Handlere» von La Neuveville einen Überraschungsbesuch abstatten. «Handlere» steht für Ecole Supérieure de Commerce, also die Höhere Handelsschule. Hans Marti und dessen Schwester Annemarie haben mit ihm zusammen die «Handlere» in Neuenstadt besucht.
Familie Marti besitzt in Fraubrunnen den weit bekannten Landgasthof Löwen und einen grossen Bauernhof. Als Dölf in Fraubrunnen ankommt, geht es im Löwen gerade hoch her. Ein Kavallerist hält seinen Polterabend. Hans Marti ist voll mit von der Partie. Annemarie Marti trifft er an diesem Abend nicht an, dafür ihre Schwester Katrin. Ja, an diesem Abend sei er an Katrin «häre gloffe», sagt Adolf Ogi heute und fügt hinzu: «Es hat sofort gefunkt.»
Und auch Katrin erinnert sich: Es sei wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen. 25 Jahre alt ist sie, als sie an diesem denkwürdigen Polterabend ihren Dölf kennenlernt. Sein imponierendes Auftreten gefällt ihr. Gehört hat sie von ihren Geschwistern schon viel über diesen Dölf. Jetzt steht er vor ihr.
Den bunten Abend schliesst man zu später Stunde im nahen Marti-Hof mit einem Schlummertrunk ab. Der frisch Verliebte fährt in dieser Nacht nicht mehr nach Hause, sondern übernachtet in einem Gästezimmer des Bauernhofes.
Kurze Zeit später treffen sich Katrin und Dölf in Bern zu einem Essen. Da sei er fast ein bisschen ins Zweifeln gekommen. Ihre Kleidung habe ihm gar nicht gefallen: Sie habe, erinnert er sich, «so irgendetwas Silbriges» angehabt, wahrscheinlich ein silberfarbenes Jäckchen. Da ist der gute Dölf wohl nicht ganz auf dem neuesten Stand der Mode gewesen. Der silberfarbene Modeglanz der 70er-Jahre ist bei ihm offensichtlich noch nicht angekommen.
Weil das Techtelmechtel zwischen Adolf Ogi und Katrin Marti wohl so langsam ernste Formen anzunehmen scheint, schaltet sich die gestrenge angehende Schwiegermutter Marti ein. Mit ihrem Mann Hans erscheint sie eines Tages in Kandersteg, um auszukundschaften, «was das für Leute sind». Beiläufig erwähnt hatte Mutter Marti schon einmal, dass man gelegentlich zu Besuch komme, aber letztlich kommt die Aufwartung aus Fraubrunnen unverhofft. Schon auf der Holztreppe zu Ogis Haus weiss sie genug: «Hans, schau dir diese saubere Treppe an. Der Bub muss in Ordnung sein.»
Er habe immer einen gehörigen Respekt vor der 2009 verstorbenen Schwiegermutter gehabt, sagt Dölf Ogi heute. Mutter Marti führt Hof und Wirtschaft mit strenger Hand. Sie ist auch politisch tätig in der alten BGB (Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, die Vorgängerin der SVP) und steht den Landfrauen vor. Während der Zeit im Skiverband habe er einmal im Spass zu ihr gesagt: «Du, Mutter, ich kann ja gut umgehen mit Leuten, ich könnte doch den Löwen übernehmen.» Da sei er aber an die Falsche geraten. Ihre Antwort kommt klar und unmissverständlich: «Dölfi, du bist zwar fähig, eines Tages Bundesrat zu werden, aber meinen Leuen kannst du nicht führen.»
Den Hochzeitsantrag macht Dölfi Katrin ganz bewusst an einem Ort, an dem sie nie hätte Nein sagen können. Im Herbst 1970 sitzen sie zusammen auf einem Bänklein in luftiger
Höh – auf der Wissi Blickä, auf einem wunderschönen Aussichtspunkt oberhalb des Kraftwerks Kandersteg, als sich Dölf an die Frage aller Fragen wagt: «Als wir auf das schöne, grüne Kandersteg hinuntergeschaut und die mächtige Blüemlisalp bewundert haben, habe ich sie gefragt. Sie hat sofort Ja gesagt», erinnert sich der Antragsteller. Im Dezember wird Verlobung gefeiert. Sie heiraten nach Sapporo, am 12. Mai 1972.