Beide erlebten ein Trauma: Der Schweizer Markus Zangger (59) wurde vom gefeierten Starpädagogen Jürg Jegge (74) jahrelang sexuell missbraucht. Die deutsche Schauspielerin Renate Langer (61) wirft dem französisch-polnischen Star-Regisseur Roman Polanski (84) Vergewaltigung in Gstaad BE vor.
Beide mutmasslichen Straftaten wurden Anfang der 70er-Jahre verübt – und sind deshalb längst verjährt. Wie die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft heute mitteilt, steht deshalb die Einstellung des Verfahrens gegen Jegge bevor. Auch Langer dürfte mit ihrer Anzeige wenig Erfolg haben.
Opfer schweigen Jahrzehnte
Zangger war beim ersten Missbrauch zwölf Jahre alt. Diesen Frühling, 47 Jahre nach den ersten Übergriffen, enthüllte er seine Erfahrungen in einem Buch. «Ja, es ist tatsächlich zu sexuellen Kontakten gekommen», gestand Jegge. «Damals war ich der Meinung: Das ist eine gute Sache und im Interesse der Schüler.»
Auch Renate Langer hat 45 lange Jahre geschwiegen, bis sie Ende September Polanski in St. Gallen anzeigte. Sie erklärte ihr Zögern gegenüber der «New York Times» mit der Rücksicht auf ihre Eltern. «Meiner Mutter wäre das Herz stehen geblieben.» Sie starb vor zwei Jahren, ihr Vater diesen Sommer.
Pädophilen-Initiative zu weich umgesetzt?
Sexuelle Straftaten an Jugendlichen verjähren nach 15 bis 25 Jahren – je nach Alter der Opfer. Bei Kindern verjähren sie seit 2013 gar nicht mehr. Dies, weil das Volk 2008 eine entsprechende Volksinitiative der Anti-Pädophilen-Organisation Marche Blanche angenommen hatte.
Nur: das Parlament setzte die Limite für die Unverjährbarkeit bis zum 12. Lebensjahr. Sowohl Polanski als auch Jegge wären also höchstwahrscheinlich straflos davongekommen, wenn das neue, verschärfte Gesetz bereits in den 70er-Jahren gegolten hätte.
«Alterslimite von zwölf Jahren reicht nicht aus»
SVP-Nationalrätin Natalie Rickli (40), die sich mit ihrer Partei sowie der GLP und Teilen der CVP erfolglos für eine Limite bei 16 oder mindestens 14 Jahren eingesetzt hatte, bedauert das sehr. «Diese beiden Fälle zeigen exemplarisch, dass die Alterslimite von zwölf Jahren nicht ausreichend ist.» Mit einem neuen Vorstoss, den sie in der Wintersession einreichen wird, will die Zürcherin die Limite auf 16 Jahre anheben.
Rickli macht dem Parlament keinen Vorwurf. Schliesslich zielte der Initiativtext explizit auf Opfer «vor der Pubertät» ab. Und die Abstimmungskampagne fokussierte auf den Schutz der kleinen Kinder – und nicht der Jugendlichen. Für die SVP-Nationalrätin war diese Passage in der Initiative tatsächlich «zu wenig genau formuliert». Die Fälle Jegge und Polanski würden aber zeigen, dass es Handlungsbedarf gebe.
Die Zahlen sind erschreckend hoch. Laut einer Studie der Universität Zürich werden in der Schweiz jedes Jahr 3500 bis 4000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellen Übergriffen. In rund einem Viertel der Fälle sind es Vergewaltigungen. Die Dunkelziffer soll zehnmal höher sein.
Die allermeisten Opfer schweigen also – und dies nicht selten über Jahre oder gar Jahrzehnte. Ein Grund dafür sind laut Fachleuten Schuldgefühle. Die allermeisten Opfer sexueller Übergriffe fühlen sich schuldig. Oder mindestens mitschuldig. Während aber die Täter oft davonkommen, leiden die Opfer ihr ganzes Leben.
Geschieht der Missbrauch in der Familie, schreckten viele Kinder auch aus Angst, dass die Familie auseinanderbrechen könnte, vor einer Anzeige zurück. Kinder, die vor der Pubertät missbraucht werden, können das Erlebte zudem oft auch nicht richtig einordnen.
Fachleute sprechen zudem von «Gefühlsambivalenz». Auf der einen Seite fühlt sich das Kind ausgenutzt. Auf der anderen Seite wird es vom Peiniger aber auch oft bevorzugt behandelt, was dem Kind ein gutes Gefühl gibt. Deshalb könnten die Gefühle von Kindern in solchen Situationen äusserst widersprüchlich sein, sagen die Experten.
Die Folgen für die Kinder sind vielfältig. Sie manifestieren sich in einem ambivalenten Gefühl gegenüber Erwachsenen. Ein Gefühlschaos zwischen Wut, Angst und Scham entsteht. Die Kinder fühlen sich machtlos und ziehen sich immer mehr zurück. Es fällt ihnen schwer, adäquate Beziehungen mit Gleichaltrigen aufzubauen. Sie weisen oftmals ein selbstzerstörerisches Verhalten auf, das sich in Aggressivität, Drogenkonsum und Depression zeigt. (nmz)
Die Zahlen sind erschreckend hoch. Laut einer Studie der Universität Zürich werden in der Schweiz jedes Jahr 3500 bis 4000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellen Übergriffen. In rund einem Viertel der Fälle sind es Vergewaltigungen. Die Dunkelziffer soll zehnmal höher sein.
Die allermeisten Opfer schweigen also – und dies nicht selten über Jahre oder gar Jahrzehnte. Ein Grund dafür sind laut Fachleuten Schuldgefühle. Die allermeisten Opfer sexueller Übergriffe fühlen sich schuldig. Oder mindestens mitschuldig. Während aber die Täter oft davonkommen, leiden die Opfer ihr ganzes Leben.
Geschieht der Missbrauch in der Familie, schreckten viele Kinder auch aus Angst, dass die Familie auseinanderbrechen könnte, vor einer Anzeige zurück. Kinder, die vor der Pubertät missbraucht werden, können das Erlebte zudem oft auch nicht richtig einordnen.
Fachleute sprechen zudem von «Gefühlsambivalenz». Auf der einen Seite fühlt sich das Kind ausgenutzt. Auf der anderen Seite wird es vom Peiniger aber auch oft bevorzugt behandelt, was dem Kind ein gutes Gefühl gibt. Deshalb könnten die Gefühle von Kindern in solchen Situationen äusserst widersprüchlich sein, sagen die Experten.
Die Folgen für die Kinder sind vielfältig. Sie manifestieren sich in einem ambivalenten Gefühl gegenüber Erwachsenen. Ein Gefühlschaos zwischen Wut, Angst und Scham entsteht. Die Kinder fühlen sich machtlos und ziehen sich immer mehr zurück. Es fällt ihnen schwer, adäquate Beziehungen mit Gleichaltrigen aufzubauen. Sie weisen oftmals ein selbstzerstörerisches Verhalten auf, das sich in Aggressivität, Drogenkonsum und Depression zeigt. (nmz)