Politik hautnah: Während Parlamentarier unten im Nationalratssaal mal mehr mal weniger streiten, kann die Bevölkerung auf den Zuschauertribünen oben dem Geschehen beiwohnen. Wie und wo, ist klar geregelt: Ein Bereich im imposanten Saal ist für Schulklassen und Führungen reserviert. Der andere für Angehörige und Gäste der National- und Ständeräte.
Jetzt sorgen just diese Plätze für Ärger unter der Bundeshauskuppel. Denn seit der am Freitag zu Ende gegangenen Session müssen die Volksvertreter digital reservieren, wenn sie jemanden auf die Ränge lassen wollen. Das Problem: Statt das Ganze zu vereinfachen, führe das neue System ausgerechnet zu leeren Bänken, klagt SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (52).
«Erst letzten Mittwoch ist mir Folgendes passiert: Zwei Gäste wollten spontan ein paar Minuten der Debatte verfolgen», so der St.Galler. «Doch der Buchungscomputer beschied mir: alles ausgebucht.» Ein Blick nach oben und Büchel sah, dass in Tat und Wahrheit niemand dort sitzt. «Digitalisierung ist ja gut und recht», sagt der St. Galler. «In diesem Fall hat das alte System aber definitiv besser funktioniert.»
CVP-Gmür fordert Flexibilität
Schlechte Erfahrungen mit dem neuen System hat auch der Schwyzer CVP-Nationalrat Alois Gmür (62) gemacht. Zweimal sei er mit spontanen Gästen angestanden und hätte diese trotz leerer Tribüne nicht reingebracht. «Es ist gut, dass man Plätze neu so einfach vom Computer aus reservieren kann. Aber es braucht dennoch eine gewisse Flexibilität», findet er. Warum, fragt er, lasse man die Leute bei ausreichend Platz nicht auf die Tribüne, mit der Auflage, dass sie gehen müssten, wenn jene mit Reservationen eintreffen?
Und auch SVP-Frau Verena Herzog (61) sagt: «Ich fand das System zuvor viel unkomplizierter und persönlicher, schlicht besser.»
Parlamentarier reservieren Zuschauerplätze auf Vorrat
SP-Frau Edith Graf-Litscher (53) verteidigt das neue Verfahren: «Ich finde das neue System super, gerade diese Woche konnte ich noch kurzfristig einen Platz für meinen Vater Karl Litscher (79) buchen. Er hat so just mitverfolgt, wie ein Postulat von mir ohne Gegenstimme angenommen wurde», sagt Litscher. Trotzdem gibt sie zu bedenken: «Viele Parlamentarier reservieren die Plätze auf Vorrat, damit sie auf jeden Fall genug haben.» Darum fordere sie ihre Kollegen dazu auf, frei werdende Plätze sofort zu melden. «Wenn die Ränge leer bleiben, sind die Parlamentarier und nicht die Digitalisierung schuld», so Graf-Litscher.
Und auch bei den Parlamentsdiensten sieht man den Fehler nicht im System. «Werden Plätze kurzfristig freigegeben, können sie sofort wieder gebucht werden», so ein Sprecher. «Mit dem jetzigen System ist es also viel schneller und einfacher geworden, den Überblick zu behalten.»