Die Linke sprach von einem «Kniefall vor der Versicherungslobby». Doch auch Vertreter der Mitteparteien beurteilten die Vorschläge des Bundesrats als unausgewogen. Dieser möchte den Versicherungen weitgehende Freiheiten einräumen.
Vertragsbedingungen und Leistungen sollen zum Beispiel im Nachhinein geändert werden können, sofern die Versicherten beim Vertragsschluss über diese Möglichkeit informiert worden sind. Das sei kein Versicherungs-, sondern ein «Verunsicherungsgesetz», sagte die Berner Grünliberale Kathrin Bertschy.
Maurer wehrte sich – und gab nach
Maurer liess die Kritik nicht auf sich sitzen: «Den Vorwurf, dass sich der Bundesrat vor den Versicherungen verbeuge, möchte ich in aller Form zurückweisen», sagt er. Warum der Entwurf weit über die Forderungen in der Vernehmlassung hinausgeht, blieb offen.
Woher der Wind wehte, hatte der Finanzminister aber verstanden. Die umstrittensten Vorschläge des Bundesrats verteidigte er nur halbherzig, in einigen Punkten gab er gar den Anträgen der Minderheit den Vorzug. Es sei am Parlament, die Abwägung zwischen den Interessen von Versicherern und Versicherten zu machen, sagte er. Das seien politische Entscheide.
Umdenken bei FDP und SVP
Auch bei FDP und SVP hat ein Umdenken stattgefunden. In der vorberatenden Kommission hatten ihre Vertreter den Bundesrat noch unterstützt. Im Nationalrat gestand FDP-Sprecher Olivier Feller (VD) dann ein, dass es «berechtigte Bedenken» der Versicherten gebe. Es gelte, Augenmass zu wahren.
Der Konsumentenschutz hat bereits mit dem Referendum gegen das revidierte Versicherungsvertragsgesetz gedroht. Das wäre gratis Wahlkampfhilfe für die Linke im Herbst. «Zum Glück sind hin und wieder Wahlen», kommentierte Rytz die bürgerliche Kehrtwende.
Keine einseitige Kündigung
Der Nationalrat nahm daher zahlreiche Nachbesserungen zugunsten der Versicherten vor. Insbesondere strich er das Recht der Versicherungen, die Vertragsbedingungen einseitig zu ändern. Das ist zwar heute möglich, das Bundesgericht setzt aber enge Schranken. Dabei soll es bleiben, eine Präzisierung im Gesetz fand keine Mehrheit.
Zu reden gab auch der Vorschlag, dass Versicherungen ihre Leistungen im Fall einer Krankheit oder eines Unfalls einschränken oder ganz einstellen können. «Das ist eine ungeheuerliche Frechheit», sagte Rytz. Versicherten, die ein Leben lang Prämien bezahlt hätten, könnte im Schadenfall der Schutz entzogen werden. Es frage sich, wer da überhaupt noch eine Versicherung benötige.
Diese Meinung setzte sich durch: Mit 133 zu 50 Stimmen erklärte der Nationalrat Vertragsbestimmungen für nichtig, die die Zahlungspflicht im Fall von Krankheit oder Unfall einschränken würden.
Kassen dürfen nicht kündigen
Bundesrat und Kommission unterlagen mit zahlreichen weiteren Anträgen zu Gunsten der Versicherungen. So sollen Krankenzusatzversicherungen grundsätzlich nur von den Versicherten und nicht von den Versicherungen gekündigt werden dürfen. Ältere oder kranke Personen fänden keinen neuen Zusatzversicherer, sagte Guillaume Barazzone (CVP/GE).
Eine wichtige Verbesserung aus Konsumentensicht ist das Recht, einen Vertragsschluss innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Eine Mitte-Links-Minderheit setzte gar durch, dass das nicht nur beim Abschluss, sondern auch bei wesentlichen Änderungen des Versicherungsvertrags gilt.
Gesetz ist über 100 Jahre alt
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Revision des Versicherungsvertragsgesetzes mit 124 zu 26 Stimmen bei 36 Enthaltungen an. Der Vorlage die Zustimmung verweigert hatten vor allem SP und Grüne.
Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Es ist der zweite Anlauf, das über 100 Jahre alte Versicherungsrecht zu ändern. Eine Totalrevision war 2013 gescheitert. Der bürgerlichen Mehrheit ging der Konsumentenschutz damals zu weit. (SDA/sf)