Nach Tod von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah
Kaum Hoffnung auf einen Genfer Frühling

Der Nahe Osten droht im Chaos zu versinken. Die Schweiz organisiert im Frühjahr eine Konferenz in Genf, die unter keinem guten Stern steht.
Publiziert: 29.09.2024 um 10:23 Uhr
Nach der Tötung des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah durch Israel ist alles unklar.
Foto: keystone-sda.ch
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Nach der Tötung des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah (†64) durch Israel ist unklar, ob und wann das Pulverfass Nahost explodiert. Im schlimmsten Fall droht Israel ein Mehrfrontenkrieg: Im Westen lauert die Hamas, im Norden die führungslose Hisbollah, im Süden sind es die Huthi-Rebellen aus dem Jemen – und im Osten Iran. Laut der libanesischen Regierung sind in den letzten elf Tagen 1030 Menschen durch israelische Angriffe getötet worden, darunter 87 Kinder und 56 Frauen. Wie viele der von der Hamas entführten israelischen Geiseln noch am Leben sind, ist unklar. Bald jährt sich das Massaker vom 7. Oktober – und ein Frieden gilt als ausgeschlossen.

Trotzdem soll die Schweiz in den nächsten sechs Monaten eine Nahostkonferenz organisieren. So will es die Uno-Generalversammlung – und Bundesrat Ignazio Cassis (63) führte am Rande der Uno-Vollversammlung in New York Gespräche mit seinen Amtskollegen aus Iran, Jordanien, Ägypten und Tunesien. 

«Wir befinden uns in einer schwierigen Situation: Wir brauchen dringend eine politische Lösung – aber eine politische Lösung ist nicht in Sicht, da die Situation angespannt ist. Wir werden alle politischen Vorschläge unterstützen, die auf einer Zwei-Staaten-Lösung basieren und einen dauerhaften Frieden für die Region sichern», sagt Cassis’ Kommunikationschef Nicolas Bideau (55) zu SonntagsBlick.

Cassis im Dilemma

Cassis befindet sich in einem persönlichen Dilemma: Als Schweizer Aussenminister muss er das humanitäre Völkerrecht und die Genfer Konvention hochhalten. Als ehemaliger Vizepräsident der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel gilt seine Loyalität jedoch primär Israel.

Die israelische Botschafterin in Bern, Ifat Reshef (56), kritisiert den Uno-Beschluss: «Die Resolution zielt darauf ab, ein demokratisches Land zu bestrafen, das seine Bürger verteidigt. Israel wird täglich auf verschiedene Weise angegriffen», sagt Reshef zu SonntagsBlick. Sie erwartet, «dass die Schweiz nicht mit den feindlichen Massnahmen kooperiert, die in dieser Resolution gegen eine befreundete Nation gefordert werden».

Paul Fivat leitete 2014 die letzte grosse Nahostkonferenz

Vor zehn Jahren hielt die Schweiz die letzte grosse Nahostkonferenz im Auftrag der Vereinten Nationen ab. Der pensionierte Diplomat Paul Fivat (76) leitete damals die Konferenz in Genf. Er rechnet nicht damit, dass die neue Konferenz signifikante Fortschritte bringt. «Das humanitäre Völkerrecht ist bekannt. Eine Konferenz kann das aber mit Nachdruck symbolisch bekräftigen», sagt Fivat im Gespräch mit SonntagsBlick. «Oberste Maxime ist, die Zivilbevölkerung in allen Konfliktparteien zu schützen. Eine Konferenz kann Völkerrechtsverletzungen anprangern und dort, wo es einen Ermessensspielraum gibt, diesen präzisieren.»

2014 nahmen Länder wie Israel, USA, Australien und Kanada nicht an der Konferenz teil. Fivat rechnet mit einer erneuten Absage Israels. Ob die USA dieses Mal dabei sind, dürfte vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen abhängen. Andere westliche Länder, die 2014 noch nicht teilgenommen haben, dürften 2025 jedoch sehr wohl teilnehmen – auch wegen des eindeutigen Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, das die israelische Siedlungspolitik scharf kritisiert. «Die Konferenz wird sehr schwierig, aber als Depositarstaat der Genfer Konvention haben wir eine Verantwortung, alles zu versuchen», sagt Fivat.

Nahostkonferenz im Frühjahr in Genf

Wie SonntagsBlick weiss, soll die Nahostkonferenz im Februar oder März 2025 in Genf stattfinden. «Wir haben noch nicht entschieden, wer das Gesicht der Nahost-Konferenz wird. Wir werden eine Kerngruppe bilden, die aus politischen und völkerrechtlichen Experten besteht. Wir bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor», sagt Nicolas Bideau. Sowohl die Variante einer eher technischen Konferenz mit den Missionschefs in Genf bis zu einer Konferenz mit höherrangigen Vertretern würden vorbereitet. 

Gute Karten für die Konferenzleitung hat Franz Perrez (57). Er leitet beim Aussendepartement EDA die Direktion Völkerrecht. Perrez hat bereits eine erste Analyse des IGH-Gutachtens vorgenommen, die SonntagsBlick über das Öffentlichkeitsgesetz einsehen konnte. Perrez’ Urteil: «Israel muss sofort neue Siedleraktivitäten beenden, alle Siedlungen räumen und Ersatz für verursachte Schäden leisten.» Ebenfalls im Gespräch sind Wolfgang Amadeus Brülhart (63), Sonderbotschafter für den Nahen und Mittleren Osten (MENA), und Monika Schmutz Kirgöz (55). Die künftige MENA-Chefin war bereits in Tel Aviv, Beirut, Istanbul und Ankara tätig.

Widersprüche der Schweizer Aussenpolitik

Cassis muss sich darauf gefasst machen, dass im Vorfeld der Nahost-Konferenz die Schweizer Israel-Politik genau unter die Lupe genommen wird. Anders als die EU und Liechtenstein hat die Schweiz keine Sanktionen gegen radikale israelische Siedler erlassen. Auch dürfte Cassis’ Abneigung gegenüber dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA zu reden geben. 

Ist es nicht widersprüchlich, die UNRWA nicht stärken zu wollen und gleichzeitig eine Nahost-Konferenz zu veranstalten? Cassis’ Sprecher Bideau: «Nein! Erstens ist die Organisation der Konferenz von der internationalen Gemeinschaft gewollt, und es ist die Rolle der Schweiz als Depositarstaat der Konventionen, dies zu tun. Zweitens ist der Schutz der Zivilbevölkerung und des humanitären Völkerrechts in der Region eine Priorität der Schweiz.»

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