Der erste Akt im heutigen Europa-Marathon fand nicht in Bern statt. Sondern in der EU-Metropole Brüssel. Um 9.45 Uhr hat die Schweiz, vertreten durch Staatssekretär Mario Gattiker, den sogenannten Kroatien-Vertrag unterzeichnet, wie das Justizdepartement bestätigt.
Der Vertrag regelt die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf den Balkanstaat, der erst 2013 der EU beigetreten ist. Der Bundesrat will mit der Unterschrift sicherstellen, dass die Schweiz auch künftig am EU-Forschungsprogramm «Horizon 2020» teilnehmen kann.
Informiert Bundesrat heute zur Schutzklausel?
Allerdings muss der Bundesrat auch Kritik einstecken. Verständlich: Nach dem Ja zur SVP-Zuwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 hatte der Bundesrat den Kroatien-Vertrag blitzartig auf Eis gelegt. Eine Ausweitung der Freizügigkeit sei nun nicht mehr vertretbar, hiess es damals von der Landesregierung. Obwohl die Ausgangslage heute identisch ist, kommt der Bundesrat jetzt zu einer anderen Einschätzung. Dieses Hüst und Hott dürfte in einem Abstimmungskampf um Europa noch ordentlich zu Reden geben.
Anschliessend an die Kroatien-Unterzeichnung wird der Bundesrat heute Nachmittag in Bern an die Öffentlichkeit treten. Erwartet wird, dass er ein vierteiliges Paket zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative ans Parlament schickt.
Punkt 1: Der erwähnte Kroatien-Vertrag ist Teil dieses Pakets. Das Parlament muss den Deal ebenfalls akzeptieren. Zudem kann mittels Referendum eine Volksabstimmung erzwungen werden.
Punkt 2: Herzstück des Umsetzungspakets zur Masseneinwanderungsinitiative ist aber die Schutzklausel. Sie soll es der Schweiz ermöglichen, die Zuwanderung zu drosseln, ohne die Personenfreizügigkeit zu verletzen. Ob Brüssel dies schluckt, ist indes sehr fraglich. Ebenso, ob das Parlament bereit ist, die Schutzklausel auch einseitig in Kraft setzen.
Punkt 3: Mit Reformen im Ausländergesetz will der Bundesrat dem von der SVP-Initiative verlangten Inländervorrang auf dem Arbeitsmarkt Nachachtung verschaffen.
Punkt 4: Weiter schlägt der Bundesrat einen moderaten Ausbau der flankierenden Massnahmen vor. Damit sollen Begleiterscheinungen der Personenfreizügigkeit, etwa Lohndumping, eingedämmt werden.
Wenn der Bundesrat seinen Plan vorgestellt hat, ist das Parlament an der Reihe. National- und Ständerat werden das Europa-Paket in den kommenden Wochen und Monaten beraten. Im Bundeshaus sind die Hoffnungen auf fruchtbare Diskussionen jedoch äusserst gering. Bis die Briten über einen Austritt aus der EU (Brexit) abgestimmt haben, seien von Brüssel kaum Zugeständnisse zu erwarten, heisst es im Bundeshaus. Somit sei auch eine fundierte Beratung der Geschäfte des Bundesrats kaum möglich.