Konsumentenschutz kritisiert Bersets Kampf gegen hohe Prämien
«Das sind nur Placebo-Massnahmen»

Die Gesundheitskosten steigen und steigen. Um die Kostenexplosion zu bremsen, sieht der Bundesrat ein ganzes Päckli an Massnahmen vor. Doch aus Sicht des Konsumentenschutzes gehen sie viel zu wenig weit.
Publiziert: 14.09.2018 um 14:00 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2018 um 19:10 Uhr
So will Berset die Kosten dämpfen
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Massnahmen im Gesundheitswesen:So will Berset die Kosten dämpfen
Lea Hartmann

In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Gesundheitskosten in der Schweiz mehr als verdoppelt. Die Konsequenz: Jahr für Jahr steigende Krankenkassenprämien.

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Alain Berset hat heute das erste Massnahmenpaket vorgestellt. Mit ihm sollen Hunderte Millionen Gesundheitskosten gespart werden.

Das ärgert nicht nur die Versicherten, sondern auch den Bund. Er will die Kostenexplosion eindämmen und hat dazu heute ein erstes Massnahmenpaket vorgestellt, mit dem mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr eingespart werden sollen. Ein zweites soll im kommenden Jahr folgen.

Konsumentenschutz ist enttäuscht

Doch sind diese Massnahmen wirklich die richtigen Mittel gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen? Der Konsumentenschutz zweifelt daran. Er spricht von «Placebo-Massnahmen», die nun umgesetzt würden. Dabei habe eine internationale Expertengruppe vergangenes Jahr einen «vielversprechenden Bericht» verabschiedet, der viele Sparmöglichkeiten aufzeigte. «Doch noch vor der parlamentarischen Beratung ist die Hälfte der ursprünglich effektiven Massnahmen weichgespült», kritisiert der Konsumentenschutz.

Die nun vorgesehenen Massnahmen gingen zu wenig weit, sagt Geschäftsleiterin Sara Stalder. «Obwohl die Menschen immer stärker unter der Prämienlast leiden, gibt unsere Exekutive offensichtlich dem Druck der mächtigen Gesundheitsindustrie nach.»

Das sind die zentralen Massnahmen des Bundesrats und wie sie der Konsumentenschutz einschätzt:

  • Maximaler Preis für Medikamente
    Das will der Bundesrat:
    Eingeführt werden soll ein Referenzpreissystem für Medikamente, deren Patent abgelaufen ist und von denen deshalb Generika erlaubt sind. Das heisst, künftig soll ein maximaler Preis für Medikamente mit demselben Wirkstoff festgelegt werden. Mehr als diesen Referenzpreis darf ein Krankenversicherer nicht zahlen. Wählt jemand ein teureres Medikament, muss er die Mehrkosten selbst tragen. Allein mit diesem System könne man theoretisch bis zu einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr sparen, schätzt der Bundesrat. Wie viel genau, hängt aber davon ab, wie genau man das System ausgestaltet. Die Regierung betont, dass die Versorgungssicherheit wichtiger sei als eine maximale Kosteneinsparung. Pharmaindustrie, Ärzte und Apotheker wehren sich mit Händen und Füssen gegen ein solches System.
    Das findet der Konsumentenschutz: Ein Referenzpreissystem sei grundsätzlich eine gute Idee. Doch der Knackpunkt ist die Umsetzung. Der Bundesrat schickt zwei Modelle in die Vernehmlassung. Das eine davon ist aus Sicht der Konsumentenschützer untauglich, weil man damit kaum Geld sparen würde. Das zweite ist laut Geschäftsleiterin Sara Stalder akzeptabel.
  • Mehr Transparenz
    Das will der Bundesrat:
    Ärzte und Spitäler sollen verpflichtet werden, ihre Rechnungen nicht nur an die Versicherungen, sondern immer auch eine Kopie an den Versicherten zu schicken. So können die Patienten prüfen, ob die Rechnung wirklich stimmt und nicht zu viel verrechnet wurde. «Wir gehen davon aus, dass das zu mehr Transparenz führt und möglicherweise auch zu Einsparungen», sagt Gesundheitsminister Alain Berset.
    Das findet der Konsumentenschutz: Eine Kopie bringt nichts, wenn die Rechnung unverständlich formuliert ist. Viel wirksamer wäre aus Sicht des Konsumentenschutzes deshalb eine unabhängige Rechnungskontrollbehörde.
  • Eine Organisation für die Tarifaushandlung
    Das will der Bundesrat:
    Für den stationären Bereich gibt es sie bereits, nun soll auch eine nationale Tariforganisation für den ambulanten Bereich geschaffen werden. Es handelt sich dabei um eine eigenständige Organisation bestehend aus Vertretern von Ärzten, Spitälern und Krankenversicherern, die Tarife weiterentwickeln und anpassen sollen. Wenn sie es nicht schaffen, innerhalb von zwei Jahren eine solche Organisation ins Leben zu rufen, soll der Bundesrat sie einsetzen können. Bislang war es so, dass die Tarifpartner – also die Krankenversicherer und die Leistungserbringer – die Tarife für den ambulanten Bereich gemeinsam aushandelten. Weil sie sich nicht einigen konnten, legte der Bundesrat im vergangenen Jahr das Tarifsystem Tarmed fest.
    Das findet der Konsumentenschutz: Grundsätzlich befürwortet er eine nationale Tariforganisation. Mit einem grossen Aber: «Es fehlt eine Vertretung der Patienten und deren Interessen», sagt Stalder.
  • Raum zum Experimentieren
    Das will der Bundesrat:
    Der Bundesrat will einen sogenannten Experimentierartikel einführen, der es Kantonen, aber auch Versicherern, Ärzten und Spitälern erlaubt, innovative Pilotprojekte voranzutreiben, die Kosten sparen. Der Bundesrat nennt als Beispiel Projekte ähnlich dem Hausarzt- oder Telmed-Modell, welche bereits die meisten Versicherungen kennen.
    Das findet der Konsumentenschutz: Der Konsumentenschutz glaubt, dass man damit tatsächlich Geld sparen kann. Es bestehe aber die Gefahr, dass auch Pilotprojekte lanciert würden, die statt zu einer Kostensenkung zu einer Mengenausweitung führen würden, warnt Geschäftsleiterin Stalder.
  • Weitere Massnahmen sind unter anderem mehr Rechnungskontrollen und die Förderung von Pauschalen im ambulanten Bereich. Zudem sollen die Versicherungen und die Ärzte und Spitäler verpflichtet werden, in einem gesamtschweizerischen Vertrag Massnahmen zur Kostensteuerung festzulegen. Der Bundesrat muss diese genehmigen. Als eine weitere Massnahme sieht der Bundesrat zudem vor, dass die Krankenkassenverbände künftig Einspruch gegen die Eröffnung neuer Spitäler, Geburtshäuser oder Pflegeheime erheben können. So soll eine Überversorgung verhindert werden.
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