Am 14. März 1991, einem Donnerstag, drei Wochen vor seinem Tod, erhält Max Frisch angemeldeten Besuch. Seit Monaten weiss der Schriftsteller, dass er an unheilbarem Darmkrebs leidet. Seinem Gegenüber begegnet er mit der Heiterkeit des Todgeweihten. «Ich bin auf der Zielgeraden», meint er, «aus diesem Zimmer komme ich nicht mehr heraus.» Und deshalb eilt auch das Anliegen, welches der Besucher am Krankenbett vorbringt. Dieser ist Dieter Bachmann, Schriftstellerkollege und vor allem Chefredaktor der renommierten Kulturzeitschrift «Du», der seine Dezember-Ausgabe Max Frisch zum 80. Geburtstag widmen will, einem der «namhaftesten lebenden Schriftsteller der Schweiz», wie der «Spiegel» bereits 1956 geurteilt hatte.
Jetzt, wo sich dieses Leben dem Ende zuneigt, ist Eile geboten. Und es geht natürlich auch um die Deutungshoheit über das Werk eines Jahrhundertschriftstellers. Des Aktivdienstlers, aber vom Krieg Verschonten. Des deutsch Schreibenden – die Sprache der Dichter und Denker, die nach der Pervertierung durch die Nazis ihre Unschuld verloren hatte. Vor der Geschichte jedoch äussert der sterbende Max Frisch an diesem Tag Mitte Mai 1991 gegenüber seinem voraussichtlich ersten posthumen Kritiker nur einen Wunsch. «Mach mich», bittet er «Du»-Chefredaktor Dieter Bachmann, «nicht zu einem Schweizer.»
Sein Heimatland feiert in ebendiesem Jahr 1991 sein 700. Wiegenfest und möchte sich natürlich ein wenig im warmen Glanz des Nationaldichters sonnen, der Max Frisch partout nicht sein will. Nur zwei Tage vor dem Besuch von Dieter Bachmann, am 12. März 1991, schreibt Max Frisch in dieser Angelegenheit einen offenen Brief. Adressat: Marco Solari, Delegierter für die staatliche 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, der ihn zu einem offiziellen Festakt laden will. Der Schriftsteller verpackt seine Absage in Sätze spitz wie Wurfgeschosse: «Wenn ich von der Schweiz rede, so rede ich nicht von den Landschaften, sondern ich meine den Staat.
1848 eine grosse Gründung des Freisinns, heute unter der jahrhundertelangen Dominanz des Bürgerblocks ein verluderter Staat.» Oder: «Im Gentleman-Ton liessen Sie mich wissen, dass die Eidgenossenschaft mich in Zürich abholen würde (Mercedes? Rolls-Royce? Cadillac?) – Künstler-Boykott hin, Künstler-Boykott her, so musste ich Ihnen etwas Privates anvertrauen, nämlich, dass ich krank bin. Es war ein höfliches Telefonat, meine ich, sogar ein witziges – nur haben Sie den Klartext überhört.»
Und schliesslich: «Ich habe übrigens meine Bundesfichen erhalten: ein Dokument der Ignoranz, der Borniertheit, der Provinzialität. Man kann darüber witzeln, ich halte es für eine ernste Sache; dieses Fichen-Werk signalisiert das heutige Staatsbewusstsein.» Es ist die letzte öffentliche Äusserung des Schriftstellers, und es ist kein Zufall, das diese kritische Distanz zu seinem Land markiert.
Max Frisch ist bereits früh in seinem Schriftstellerleben zu gross für die kleine Schweiz, besetzt im literarischen Ödland nach dem Krieg schon bald einen «Logenplatz im Welttheater», schreibt der «Spiegel», als das noch junge deutsche Nachrichtenmagazin Max Frisch im Oktober 1953 als ersten Schweizer überhaupt zum Cover-Boy macht. Und das kommt nicht von ungefähr: Die Menschen im zerbombten Deutschland dürsten nach aktuellen Bühnenstücken. Max Frisch liefert sie – von «Nun singen sie wieder» (1945) bis «Don Juan oder die Liebe zur Geometrie» (1953) –, das Berliner Schiller-Theater, das Hamburger Schauspielhaus oder die Münchner Kammerspiele buhlen um die Frisch-Stücke, und in den Zeitungen steht, der Schweizer stehe «unter den ersten Anwärtern auf breiten Bühnenerfolg in der angelaufenen Spielzeit» 1953/54.
Am Ende eines langen Schriftstellerlebens, als «Du»-Chef Dieter Bachmann an seinem Krankenbett sitzt, sagt Frisch den befreienden Satz: «Jetzt ist es zu spät, jetzt kann man mich nicht mehr auf Burgdorf beschränken.»
Für Verleger Peter Suhrkamp war Max Frisch (15. Mai 1911–4. April 1991) ein lohnendes Geschäft. Dessen erster grosser Roman, «Stiller» (1954), wurde zum ersten Millionen-Seller des Suhrkamp-Verlags. Mit «Homo faber» (1957) oder «Mein Name sei Gantenbein» (1964) schrieb Frisch weitere Bestseller. Theaterstücke wie «Andorra» (uraufgeführt 1961 am Zürcher Schauspielhaus) eroberten nicht nur die Bühnen, sondern auch die Klassenzimmer und wurden so für Generationen zur kollektiven Lektüre und zu Longsellern für Suhrkamp.
Für Verleger Peter Suhrkamp war Max Frisch (15. Mai 1911–4. April 1991) ein lohnendes Geschäft. Dessen erster grosser Roman, «Stiller» (1954), wurde zum ersten Millionen-Seller des Suhrkamp-Verlags. Mit «Homo faber» (1957) oder «Mein Name sei Gantenbein» (1964) schrieb Frisch weitere Bestseller. Theaterstücke wie «Andorra» (uraufgeführt 1961 am Zürcher Schauspielhaus) eroberten nicht nur die Bühnen, sondern auch die Klassenzimmer und wurden so für Generationen zur kollektiven Lektüre und zu Longsellern für Suhrkamp.