Langzeitfolgen, Nebenwirkungen, Nutzen
Fünf Impf-Vorurteile im Fakten-Check

Lang ersehnt und nun verschmäht: Viele Menschen in der Schweiz zögern, sich gegen Covid impfen zu lassen. Blick nimmt die grössten Vorbehalte unter die Lupe.
Publiziert: 07.08.2021 um 01:07 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2021 um 16:23 Uhr
Die Impfquote in der Schweiz kommt nicht vom Fleck. Viele halten es nicht für nötig, sich impfen zu lassen, oder sorgen sich um Nebenwirkungen.
Foto: Keystone
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Lea Hartmann

Keine Zeit, keine Lust, kein Interesse. Während der Sommerferien ist die Nachfrage nach der Covid-Impfung eingebrochen. Seit Wochen steigt die Impfquote in der Schweiz nur noch im Schneckentempo, noch immer ist weniger als die Hälfte vollständig gegen das Coronavirus geimpft.

Eine Entwicklung, die Expertinnen und Experten beunruhigt. Martin Ackermann (50), Präsident der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes, plädierte diese Woche dafür, dass die Behörden wie in anderen Ländern Ungeimpfte direkt ansprechen – und sie zum Beispiel systematisch abtelefonieren. Doch der Datenschutz macht dieser Idee einen Strich durch die Rechnung, wie Blick berichtete.

Die Gründe, weshalb sich Menschen nicht impfen lassen, sind zahlreich. Eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) hat ergeben, dass eine grosse Kluft zwischen der älteren Bevölkerung über 65 Jahren und Jüngeren besteht. Für die meisten Seniorinnen und Senioren spricht kaum etwas gegen die Covid-Impfung. Beim Rest der Bevölkerung haben viele Menschen nach wie vor Vorbehalte.

Doch inwiefern sind diese berechtigt? Was sagt nicht das Bauchgefühl, Social Media, die Kollegin – sondern die Wissenschaft? Blick stellt den häufigsten Gründen, die Menschen von einer Impfung abhalten, die Fakten entgegen.

1. «Es ist noch zu wenig über mögliche Langzeitfolgen bekannt»

Die Fakten: Die Unsicherheit über mögliche Spätfolgen ist eines der stärksten Argumente gegen eine Impfung. Schliesslich ist unbestritten, dass man heute noch nicht wissen kann, wie es Geimpften einige Jahre nach der Impfung gehen wird. Die jahrzehntelange Erfahrung mit anderen Impfstoffen zeigt allerdings: Nebenwirkungen treten meist in den ersten Tagen oder spätestens wenige Monaten nach dem Piks auf. Das hat mit der Wirkweise eines Impfstoffs zu tun. Er löst eine Reaktion des Immunsystems aus, und die erfolgt prinzipiell schnell – sonst könnte er uns gar nicht vor Erregern schützen.

«Nebenwirkungen, die nach Jahren auftreten, sind aufgrund der Biologie zudem schwer vorstellbar. Denn die RNA wird schnell abgebaut. Sie kann sich auch nicht in den Zellkern einbauen, weshalb das Erbgut nicht geändert werden kann», sagt Manuel Battegay (61), Chefarzt Infektiologie am Basler Universitätsspital. Deshalb gelten auch die mRNA-Impfstoffe, die in der Schweiz zugelassen sind, als sehr sicher. Zwar handelt es sich um die ersten Impfstoffe basierend auf dieser Technologie. Doch an dieser wird seit zwei Jahrzehnten geforscht.

2. «Ich traue dem Impfstoff nicht, weil er so rasch entwickelt und zugelassen wurde»

Die Fakten: Die Covid-Impfstoffe sind tatsächlich in Rekordzeit auf den Markt gekommen. Das macht sie aber nicht weniger sicher, denn sie haben wie alle anderen Impfstoffe alle Phasen der klinischen Prüfung durchlaufen. Beschleunigt wurde der Prozess, indem gewisse Phasen parallel durchgeführt wurden und die Zulassungsbehörden – auch in der Schweiz – auf einen sogenannten Rolling Review setzten. Das bedeutet, dass die Behörden den Herstellern erlaubten, laufend die nötigen Unterlagen für die Zulassung einzureichen, und man diese sofort prüfte. Damit sparte man eine Menge Zeit.

Ausserdem spielte mit, dass die Impfstoffentwicklung finanziell gepusht wurde. Die Hersteller konnten damit grössere geschäftliche Risiken eingehen und alles auf eine Karte setzen. Nicht zuletzt spielte auch eine wichtige Rolle, dass man schon sehr viel über Coronaviren weiss und deshalb keineswegs bei null anfangen musste.

«Auf der ganzen Welt haben sich Wissenschaft und Industrie gemeinsam mit voller Kraft auf die Entwicklung einer Impfung fokussiert. Das hat grosse Energien frei werden lassen und die Entwicklung der Impfstoffe beschleunigt», sagt Swissmedic-Mediensprecher Alex Josty.

3. «Die Nebenwirkungen der Impfung bereiten mir Sorgen»

Die Fakten: Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Atemnot: Die Covid-Impfung kann verschiedenste Nebenwirkungen haben. Grösstenteils sind diese aber harmlos und rasch abgeklungen. «Schwere Nebenwirkungen wie eine sehr schwere Form der Allergie oder Herzmuskelentzündungen sind sehr selten», sagt Infektiologe Battegay. Bei der Meldestelle von Swissmedic gingen bisher rund 1500 Meldungen über Nebenwirkungen ein, die als schwer eingestuft werden – bei insgesamt über 4,5 Millionen geimpften Personen. 128 Personen sind nach einer Covid-Impfung gestorben, wobei es keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Impfung gibt. Die Verstorbenen waren im Schnitt über 80 Jahre alt.

«Die Nebenwirkungen sind zwar bei einigen Impfstoffen etwas höher, als wir uns das gewohnt sind», sagt Martin Bachmann, Professor für Immunologie an der Universität Bern. «Aber der gesellschaftliche Nutzen der Impfung ist dermassen viel grösser als die Problematik Nebenwirkungen, dass einem eine vernünftige Abwägung ausgesprochen leichtfällt.» So gibt es zum Beispiel Hinweise darauf, dass die Covid-Impfung in den Tagen nach dem Piks das Risiko für eine Herzmuskelentzündung leicht erhöht. Die Wahrscheinlichkeit, dass man nach einer Covid-Infektion daran erkrankt, ist allerdings viel höher.

4. «Die Impfung bringt gar nichts»

Die Fakten: Das Auftreten neuer Virusvarianten und Hinweise darauf, dass auch Geimpfte das Virus weitergeben können, sorgen bei vielen Menschen für Verunsicherung. Schützt mich die Impfung überhaupt? Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die bis jetzt vorliegen, sind eindeutig: Ja. Zwar bietet die Impfung keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Ansteckung. Doch das Risiko, sich zu infizieren, und vor allem schwer zu erkranken, wird massiv reduziert. Auch bei der derzeit dominanten Delta-Variante.

Untersuchungen in Grossbritannien zeigen, dass die Biontech/Pfizer-Impfung bei der Delta-Variante einen gut 90-prozentigen Schutz vor einer Hospitalisierung bietet. In der Schweiz wurden seit Januar 2021 rund 5500 Personen ins Spital eingeliefert, bei denen der Impfstatus bekannt war. Davon waren 96 vollständig geimpft. Das sind 0,002 Prozent aller Geimpften.

Wenn viele Menschen geimpft sind, haben es Mutationen ausserdem schwerer, sich auszubreiten. «Je schneller möglichst viele Menschen geimpft werden, desto weniger Raum gibt man den Mutationen», sagt Epidemiologe Marcel Tanner (68).

5. «Ich bin jung und gesund, mir kann das Virus nichts anhaben»

Die Fakten: Manuel Battegay stimmt der Aussage nicht ganz zu: «Für sehr viele junge, gesunde Menschen ist das Virus ungefährlich, aber auch Menschen unter 50 und junge Menschen mit Risikofaktoren können schwer erkranken», gibt der Infektiologe zu bedenken. Zudem senke die Impfung auch das Risiko eines auch bei milder Krankheit langwierigen, sehr belastenden Krankheitsverlaufs – Stichwort Long Covid. Laut Battegay sind ein bis zwei von zehn Personen, die leicht erkranken, davon betroffen.

Epidemiologe Marcel Tanner betont, dass man für die Risiko-Nutzen-Analyse nie nur an sich selbst, sondern immer auch an den gesellschaftlichen Nutzen einer Impfung denken müsse. «Die Impfung hat mit hohem Schutz und sehr geringen Nebenwirkungen einen enormen Nutzen für die Gesellschaft.» Die Leute, die geimpft sind und eventuell infiziert werden, seien weit weniger ansteckend aufgrund grundsätzlich niedrigerer Virenlast und kürzerem Verlauf der Ansteckungsphase. «Je nachdem wie gross die Virenlast ist, können sie das Virus in einem viel kürzeren Zeitraum oder überhaupt nicht weitergeben.» Mit der Impfung trägt man also dazu bei, dass sich das Virus viel schwerer verbreiten kann.

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