Krisensitzung in der EU-Zentrale
Brüssel drängt auf schnellen Austritt

Die Briten werden die EU verlassen. Staatenlenker grübeln auf der ganzen Welt über das «Goodbye» der Engländer.
Publiziert: 25.06.2016 um 12:42 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:40 Uhr
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Präsident des Europäischen Rates.
Foto: Dukas
Simon Marti und Christoph Lenz

Ratlosigkeit. Erschütterung. Frustration. Sie stehen den Brüsseler Beamten am Freitagmorgen ins Gesicht geschrieben. Die Nachricht von der Insel hat in der EU-Machtzent­rale eingeschlagen wie eine Bombe. So sehr der Brexit in den letzten Wochen die Schlagzeilen bestimmte – kaum jemand rechnete wirklich ernsthaft damit.

«Ein Schock!», sagt eine junge Angestellte des EU-Parlaments. «Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringen wird.» Dem Spitzenpersonal geht es nicht anders. Kurz vor zehn Uhr, zwischen zwei Krisensitzungen tritt Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, vor die Presse: «Das Ja der Briten zum Brexit macht uns traurig. Doch wir respektieren den Entscheid.»

Nun müsse Grossbritannien die EU auch möglichst rasch verlassen, um wieder Stabili­tät herzustellen. Schulz weiss: Ungewissheit ist Gift. Für Wirtschaft, Bürger – für die EU an sich. Gerade eben ist die Nachricht von David Camerons Rücktritt gekommen. Die Aussicht auf Verhandlungen mit ­einem feixenden Premierminister Boris Johnson hat die Laune des Deutschen offenbar nicht eben gehoben.

Staatenlenker und manche, die es gerne werden möchten, melden sich derweil rund um den Globus zum Goodbye der Engländer. Angela Merkel nennt es – bewusst unscharf – einen «Einschnitt für Europa» und warnt vor überhasteten Reaktionen. Doch die Kanzlerin selbst hatte vor kurzem betont, die Briten sollten nach ­einem Brexit den Zugang zum Einheitsmarkt verlieren.

Das sehen in der EU-Zent­rale viele gleich. Hier begreift man das Referendum grundsätzlich als Affront gegen die europäische Idee. Gianni Pittella, Anführer der Sozialisten im EU-Parlament, nennt Camerons Entscheid, überhaupt ein Referendum abzuhalten, schlicht und einfach «verrückt».

Es gibt auch selbstkritische Töne: Die EU könne nicht weiter­machen wie bisher, erklärte der franzö­sische Staatspräsident François Hollande. Er will möglichst bald mit den Briten in Verhandlungen zu treten.

Jenseits des Atlantiks versucht US-Präsident Barack Obama die Wogen zu glätten. Beide, EU und Grossbritan­nien, blieben unentbehrliche Partner der USA, betont er. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump wiederum, nie um verbale Schnellschüsse verlegen, lobt die Briten für ihren «fantastischen» Entscheid.

Als Trump dies sagt, steht er ausgerechnet auf seinem neu eröffneten Golfplatz in Schottland – das klar für den Verbleib in der EU gestimmt hat. Und jetzt wiederum mit dem Austritt aus Grossbritannien liebäugelt, um in der EU zu bleiben. Zu diesem Punkt macht Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, der grössten Gruppe im EU-Parlament, vielsagend klar: Neue Mitglieder seien stets willkommen.

Die Angst vor dem EU-Zerfall ist greifbar. Dass aber das Königreich auseinanderbricht, scheint auf einen Schlag noch wahrscheinlicher. 

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