Kontrolleure packen aus – so treiben Staatsverweigerer die Behörden in den Wahnsinn
Die wirre Welt des Wut-Wirts und der Gaga-Geschäftsfrau

Behörden erleben mit Staatsverweigerern teils absurde Szenen – öffentlich sprechen sie kaum darüber. Doch nun gewähren Ostschweizer Lebensmittelinspektoren einen seltenen Einblick in die Parallelwelt.
Publiziert: 02.05.2025 um 12:02 Uhr
|
Aktualisiert: 02.05.2025 um 14:17 Uhr
1/12
Nicht alle lassen den Lebensmittelinspektor rein: Behörden stossen bei Staatsverweigerern auf Widerstand, der manchmal ins Absurde kippt. (Symbolbild)
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Staatsverweigerer lehnen Behörden ab und verursachen Probleme für Lebensmittelinspektoren
  • Ostschweizer Inspektoren machen Fälle publik und bieten seltene Einblicke
  • Experte schätzt 2000 bis 3000 Staatsverweigerer im Land, Brennpunkt in der Ostschweiz
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
SvenAltermatt02 (1).jpg
Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Den Staat? Brauchen sie nicht. Gesetze? Lehnen sie ab. Kontrollen? Unter keinen Umständen! Sie leben in ihrer eigenen Welt – als Selbstverwalterinnen, Reichsbürger oder Staatsverweigerer. Was sie eint: die totale Ablehnung des Systems.

Auch Lebensmittelinspektoren bekommen das zu spüren. Alle paar Jahre kommen sie unangemeldet in einen Betrieb und prüfen, ob Hygienevorschriften eingehalten werden. Eigentlich Routine.

Doch manche Wirte oder Händlerinnen stellen sich quer: Wer die staatlichen Befugnisse konsequent ablehne, sorge für «viel Aufwand und somit auch Kosten für den Staat». Das vermeldet das Interkantonale Labor, das für die Kontrollen in Schaffhausen und den beiden Appenzell zuständig ist. «Seit der Corona-Pandemie hat das Phänomen in einzelnen Regionen stark zugenommen.» 

Kurt Seiler, Leiter des Interkantonalen Labors, spricht von einer «grundsätzlichen Verweigerungshaltung» gegenüber dem Staat. «Auch wenn es sich bei diesen Personen um Einzelfälle handelt: Sie beanspruchen überproportional viel Zeit und bringen die Behörden mit bewusst verursachter Mehrarbeit mitunter an die Kapazitätsgrenzen», sagt er zu Blick. 

Hier organisieren und unterstützen sich die Staatsverweigerer
3:16
«Ihr korrupten Freimaurer!»:So irr wüten Staatsverweigerer auf Telegram

Während sich viele Ämter zu diesem heiklen Thema lieber bedeckt halten, dokumentiert das Interkantonale Labor entsprechende Fälle – und macht zwei davon nun sogar anonym öffentlich. Damit gewähren die Ostschweizer Kontrolleure einen seltenen Einblick in die – teils wirre – Welt der Staatsverweigerer.

Fall 1: Wirt wird die Bewilligung entzogen

Ein Fall spielte sich in einem Restaurant ab. Als die Inspektoren zur routinemässigen Lebensmittelkontrolle erschienen, bekamen sie die Wut des Wirts zu spüren. Er verweigerte den Zutritt. 

Die Begründung: Die Kontrolleure seien durch die Corona-Impfung «verseuchte, genmanipulierte Zoonose-Träger», die von der Pharmaindustrie ferngesteuert würden. Sie würden Krankheiten auf die Lebensmittel in der Küche übertragen, sagte der Mann – und behauptete, davor müsse er seine Kundschaft schützen. 

«Ein Schmunzeln konnten wir uns nicht verkneifen», rapportiert das Labor in seinem aktuellen Jahresbericht, «merkten aber schnell, dass diese Aussage nicht als Witz gemeint war.» Ein zweiter Kontrollversuch scheiterte ebenso, die Androhung einer Strafanzeige brachte nichts. Auch die Polizei konnte den Wirt nicht umstimmen. 

Die Kontrolleure mussten schliesslich einsehen: Hier ist kein Einlenken zu erwarten. Dem «unbelehrbaren Wirt» musste die Bewilligung entzogen und das Restaurant geschlossen werden.

Fall 2: Besuch von der «Firma Kanton»

Ein weiterer Fall: Die Behörden stiessen auf eine Frau, die über einen Onlineshop Nahrungsergänzungsmittel verkaufte – darunter Produkte, die nicht verkehrsfähig oder gar gesundheitsgefährdend waren. Auf amtliche Schreiben reagierte sie nicht. Als die Kontrolleure an ihrer Haustür klingelten, machte sie klar: Sie gewähre der «Firma Kanton» keinen Zutritt.

Einige Tage später traf dann überraschend Post bei den Behörden ein – allerdings nicht zur Sache, sondern in Form einer Schadensersatzforderung. Der Besuch habe bei ihr «einen schweren psychischen Schaden» ausgelöst, schrieb die Geschäftsfrau laut Schilderung des Labors. Sie könne «aufgrund von Angstzuständen und Verfolgungswahn» nicht mehr arbeiten.

In einem weiteren Schreiben, mit rotem Siegelwachs und kunstvollen Symbolen versehen, verlangte sie unter anderem, dass die Kontrolleure die «Motu Proprio des Papstes vom 11. Juli 2013» widerlegen. Die Kontrolleure bemerken dazu lakonisch: «Was auf den ersten Blick wie ein jugendlicher Liebesbrief aussah, entpuppte sich als wirres Schreiben mit vielen zusammenhanglosen Verschwörungstheorien.» 

Und dann? «Zu unserem Glück wurde dieser Dame der ganze Rummel dann doch irgendwann zu viel und sie stellte ihren Onlineshop ein», rapportiert das Labor.

Wie umgehen mit Staatsverweigerern?

Die Szene ist laut Beobachtern nicht einheitlich organisiert. Es seien jedoch Parallelen zu beobachten. Der Staat werde als Feind gesehen, sachliche Gespräche seien kaum möglich. Stattdessen: Verschwörungsdenken, Einschüchterung und ein Misstrauen gegenüber allem, was offiziell ist.

«Die Fälle ziehen sich in die Länge und erfordern individuell zugeschnittene Vorgehensweisen», sagt Kurt Seiler vom Interkantonalen Labor. Dennoch betont er: «Wir ziehen unseren gesetzlichen Auftrag konsequent durch und beschreiten den Instanzenweg.» Am Ende könne dann eben auch der Entzug von Bewilligungen oder die Schliessung eines Betriebs stehen.

Wie viele Staatsverweigerer es in der Schweiz genau gibt, ist nicht bekannt. Der Zürcher Kriminalexperte Dirk Baier (48) schätzt die Grösse der Gruppe auf 2000 bis 3000 Personen, wie er kürzlich zu Blick sagte. Staatsverweigerer seien bislang nur in der Deutschschweiz aktiv, «und hier noch einmal stärker in der Ostschweiz».

Die Staatsverweigerer sind gut vernetzt: Sie halten in der ganzen Schweiz Seminare ab, deckte Blick auf. Ein genaues Bild der Situation gibt es aber nicht.

Die Frage, wie man mit den Staatsverweigerern umgehen soll, fordert die Politik. Justizminister Beat Jans (60) spricht von einer zunehmenden Herausforderung «für unsere Demokratie und unsere innere Sicherheit», wie er in der letzten Session im Parlament erklärte. Der Nationalrat nahm ein Postulat von SP-Nationalrätin Nina Schläfli (35) an, das den Bundesrat verpflichtet, einen Bericht über das Phänomen zu erstellen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?