In der RS kommt man auf die Welt. Da muss man untendurch, gelangt körperlich und geistig an seine Grenzen. Tempi passati – zumindest am Anfang der Rekrutenausbildung.
Die von Vätern und Grossvätern gepredigte Militärweisheit ist nicht mehr. Das Zauberwort bei der Schweizer Armee heisst heute «progressiver Leistungsaufbau». Neu müssen die jungen Männer und Frauen nicht in den ersten Wochen Monstermärsche absolvieren oder in Vollmontur schweisstreibende Drills über sich ergehen lassen.
«Wir werden gefordert, aber nicht überfordert», sagt Rekrutin Bernadette Keel (26) aus Steckborn TG. Seit fünf Wochen lässt sich die Thurgauerin in Wangen an der Aare BE als Rettungssoldatin ausbilden – und ist Testobjekt.
Keel und ihre Kollegen dürfen mindestens sechs Stunden schlafen, haben wöchentlich 90 Minuten Freizeit und auch sonstige «Zeit zur freien Verfügung». Sie kann während der RS zwei «Jokertage» beziehen, geniesst ein neues Sportkonzept – und kann sich langsam an militärisches Schuhwerk gewöhnen.
Rund ein Drittel brach RS bisher ab
Liegt ihr Ausbildungsplatz mehrere Kilometer vom Schlafort entfernt, dürfte sie zum «Verschieben» auch mal in die bequemen Turnschuhe schlüpfen. «Eine Turnschuh- oder Wellness-RS ist das Ganze hier aber sicher nicht», sagt Roland Hämmerli (49), Oberst im Generalstab.
Er ist der Höchste auf Platz in Wangen an der Aare und hat ein Ziel: Rekrutin Keel und ihre Kollegen sollen sich weniger verletzen und nicht nach fünf Wochen Schinderei die Segel streichen. In dieser Phase der Ausbildung war die Ausfallquote mit rund zwölf Prozent armeeweit bislang am grössten. Der Armee lief der Nachwuchs davon. Darauf haben die Streitkräfte nun reagiert.
Und tatsächlich: Diejenigen Rekruten, deren RS nach dem Motto «den Menschen Sorge tragen» aufgebaut ist, verletzen sich bis zu einem Drittel weniger als diejenigen, die von ihren Leutnants angeschrien wurden und denen schon in den ersten Wochen vor lauter Blasen an den Füssen die Lust am Grün vergeht.
«Damit lassen sich Gesamtheilungskosten von schätzungsweise 120'000 Franken auf 1000 Soldaten pro Monat einsparen», rechnen das Bundesamt für Sport (Baspo) und die Militärakademie der ETH Zürich in einer grossangelegten Studie über die neue Art der RS vor.
Doch trotz des neuen Stils: In der Kaserne unweit der Aare ächzen die Rekruten vor Hitze. Mittags um 13 Uhr zeigt das Thermometer 33 Grad, Tendenz steigend. Und so befiehlt der Zugführer mehrmals täglich «Antreten zum Trinken» – und erlaubt seinen Leuten «Tenue légère!». So können die Rekruten beispielsweise im T-Shirt üben, wie sie bei Hochwasser richtig retten.
Koordiniertes Training statt Turnen ohne Plan
Ihre Befehle erhält Rekrutin Keel in einem normalen Ton – vorbei die Zeiten, in denen der Leutnant den verängstigten Bald-Soldaten ins Gesicht schrie. «Dieser neue Militärton ist für eine Führungsperson sehr angenehm», sagt Oberst Hämmerli. «Wir wollen die Rekruten und Kader als Menschen wahrnehmen und nicht als Uniformen.» Dadurch würde seinen Männern und Frauen die Lust am Militär nicht so schnell vergehen. Fertig Drill also.
Die Studie bestätigt Hämmerlis Empfindung: Man hat einen deutlichen «Anstieg der Leistungsmotivation» festgestellt, während die Vergleichsgruppe, die nach dem alten Modell ausgebildet wurde, «einen Abfall zu verzeichnen hatte», schreiben die Studienautoren.
Auf der faulen Haut liege der Militärnachwuchs aber auch mit dem neuen Modell nicht, betont Hämmerli. Viermal 90 Minuten pro Woche steht ein anspruchsvolles Ganzkörpertraining an. Anders als früher hüpfen die Rekruten dabei nicht unkoordiniert durch die Halle, sondern absolvieren ein durchgetaktetes Programm.
Also trotzdem anstrengend? «Ja, muss es ja auch sein. Es ist aber nicht so hart, wie man aus den Erzählungen meines Vaters erwarten könnte», sagt Rekrut Sandro Wiesendanger (19) aus Unterentfelden AG zu BLICK. Schweiss läuft ihm über die Stirn, und er schiebt keuchend nach: «Papas RS war ja auch in längst vergangenen Zeiten.»
Die Armee hat zu wenige Soldaten. Weil sich viele für den Zivildienst entscheiden oder während der RS aussteigen. Um die hohe Ausfallquote zu senken, entwickelte die Armee 2013 das Konzept «Progress». Die Idee dahinter: Der Einstieg der Rekruten ins Soldatenleben soll sanfter sein. Mit kürzeren Marschstrecken, Verschiebungen zum Teil in Turnschuhen und Ausbildungen im Sitzen. Gleichzeitig wird Sport häufiger ins Tagesprogramm aufgenommen. Auch der Umgangston wird gemässigt: Die Kommandanten werden laut Armee «angehalten, den Zweck ihrer Befehle in einem bestimmten, aber respektvollen und angenehmen Umgangston zu erläutern». Nach den ersten zehn Wochen wird die Belastung sukzessive gesteigert. Die Erfahrungen sind bislang positiv, weshalb das Konzept in immer mehr Rekrutenschulen angewandt wird.
Die Armee hat zu wenige Soldaten. Weil sich viele für den Zivildienst entscheiden oder während der RS aussteigen. Um die hohe Ausfallquote zu senken, entwickelte die Armee 2013 das Konzept «Progress». Die Idee dahinter: Der Einstieg der Rekruten ins Soldatenleben soll sanfter sein. Mit kürzeren Marschstrecken, Verschiebungen zum Teil in Turnschuhen und Ausbildungen im Sitzen. Gleichzeitig wird Sport häufiger ins Tagesprogramm aufgenommen. Auch der Umgangston wird gemässigt: Die Kommandanten werden laut Armee «angehalten, den Zweck ihrer Befehle in einem bestimmten, aber respektvollen und angenehmen Umgangston zu erläutern». Nach den ersten zehn Wochen wird die Belastung sukzessive gesteigert. Die Erfahrungen sind bislang positiv, weshalb das Konzept in immer mehr Rekrutenschulen angewandt wird.