Katalanien-Führerin Marta Rovira (41)
«Spanien ist ein autoritärer Staat»

Marta Rovira (41) ist die meistgesuchte Separatistin Spaniens. Vor drei Wochen flüchtete sie ins Exil. Jetzt ist klar wohin: In die Schweiz, nach Genf. SonntagsBlick hat sie dort zum Interview getroffen.
Publiziert: 14.04.2018 um 23:34 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:27 Uhr
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Marta Rovira (41) in Genf. Hier will sie sich eine Zukunft mit ihrer Familie aufbauen
Foto: JEAN-GUY PYTHON
Interview: Fabian Eberhard

Marta Rovira (41) sitzt in ­einem Strassencafé am Genfersee. Sie wirkt gefasst, obwohl Madrid sie europaweit zur Fahndung ausgeschrieben hat. Die Justiz in ihrem Heimatland wirft ihr Aufruhr und Rebellion vor. Darauf stehen in Spanien bis zu 30 Jahre Haft. Der Kampf für die Autonomie Kataloniens bestimmt Roviras Leben. Im Gespräch wird schnell klar: Die Unabhängigkeitsführerin ist eine radikale Separatistin. Sie überrollt einen mit ihrem zupackenden Vokabular, zeichnet ein düsteres Bild von Spanien als autoritärem Staat, der seine Gegner mit aller Härte verfolgt. Nur als es um ihre siebenjährige Tochter geht, hält sie inne, wählt die Wörter vorsichtiger. Die Kleine ist der Grund, warum Rovira ihren Kampf fortan aus der Schweiz heraus führen will.

SonntagsBlick: Frau Rovira, weshalb sind Sie in die Schweiz geflüchtet?
Marta Rovira: Weil ich in Spa­nien nicht mit einem fairen Verfahren rechnen kann. Und wegen Agnès.

Ihre siebenjährige Tochter.
Genau. Ich will ihr eine Mutter sein können. Sie braucht mich. Ihr muss ich alles geben, was ich kann. Wenn ich im Gefängnis sitze, geht das nicht.

Vor drei Wochen hätte sie in Madrid vor Gericht erscheinen müssen.
Foto: JEAN-GUY PYTHON

Ist Ihre Tochter bei Ihnen in Genf?
Leider nicht. Sie ist mit meinem Ehemann in Barcelona und beendet das Schuljahr. Es tut weh, sie nicht bei mir zu haben. Im Juni wird sie aber in die Schweiz kommen. Bis dahin suche ich eine Wohnung für uns und einen Job. Als Anwältin oder bei einer internationalen NGO.

Sie stellen sich also auf einen längeren Aufenthalt in Genf ein?
Ja – auch wenn mich das traurig macht. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin dankbar, hier sein zu können. In einem demokratischen Land, in Genf, dem Herzen der Menschenrechte und dem Sitz der Vereinten Nationen.

Ist Ihre Flucht nach Genf nicht einfach ein geschickter Propagandazug? So können Sie den Konflikt internationalisieren und den Druck auf Spanien erhöhen.
Überhaupt nicht. Mir geht es da­rum, an einem Ort zu leben, wo ich meine Meinung frei äussern kann.

Waren Sie vor Ihrer Flucht schon einmal in der Schweiz?
Vor 20 Jahren machte ich mit meiner Familie Ferien in Luzern. Ich erinnere mich an einen Ausflug in die Romandie. Damals badete ich im Genfersee.

Fühlen Sie sich in Genf sicher?
Zurzeit ja. Auch wenn Spanien alles daran setzen wird, dass die Schweiz mich ausliefert. Momentan geniesse ich es aber einfach, mich nicht ständig umsehen zu müssen, ob Polizisten mich beschatten. Wenn ich in Barcelona am Morgen meine Tochter zur Schule bringen wollte, standen Beamte vor meinem Haus und beobachteten mich. Spanien war wie ein Gefängnis für mich. Sie können stolz sein, in einer Demokratie wie der Schweiz zu leben.

Von der Schweiz aus will Rovira weiterhin als Generalsekretärin der Linksnationalisten amten.
Foto: JEAN-GUY PYTHON

Ist Spanien keine Demokratie?
Spanien ist ein autoritärer Staat. Die Justiz verfolgt Kritiker, sperrt friedliche Menschen ins Gefängnis. Rapper und Twitter-Nutzer, die die Monarchie kritisieren und Politiker wie mich, die nichts anderes taten, als sich für ein Unabhängigkeitsreferendum einzusetzen. In Spanien tobt ein Kampf, in dem es längst um mehr geht als nur um die Unabhängigkeit einer Region.

Um was denn noch?
Um Demokratie. Um Menschenrechte. Und um Meinungsäusserungsfreiheit.

Stehen Sie in Kontakt mit den Schweizer Behörden?
Ich habe mithilfe meines Anwalts einen Brief an Bundesbern geschrieben. Darin steht, dass ich keine Probleme machen will und Schutz suche.

Was war die Antwort?
Man teilte mir mit, dass meine Nachricht zur Kenntnis genommen wurde. Mehr nicht.

Glauben Sie, dass die Schweiz Sie schützen wird?
Ich hoffe es. Europa muss erkennen, wie dramatisch die Lage in Spanien ist. Viele meiner Mitstreiter sind seit Monaten hinter Gittern. Das sind politische Gefangene, nichts anderes! Keiner von ihnen hat je Gewalt ausgeübt. Sowieso: Die Bewegung war stets friedlich.

Bleibt sie das? Für heute Sonntag sind massive Proteste angekündigt. Die Stimmung ist aufgeheizt.
Mit Gewalt werden wir nichts erreichen. Ich bin überzeugt, dass Pazifismus der einzig richtige Weg ist. Was wir jetzt brauchen, ist eine bindende Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens. Spanien muss endlich in einen Dialog mit den Katalanen treten. Wissen Sie: In erster Linie sind wir Demokraten und erst dann Unabhängigkeitaktivisten.

Die Regierung in Madrid wird eine Abstimmung kaum zulassen.
Das ist aber die einzige Lösung für den Konflikt. Wir müssen alle an ­einen Tisch sitzen. Das ist Demokratie. Klar ist: Wir werden weiterhin für unsere Selbstbestimmung kämpfen, egal, wo.

Politisch wollen Sie also aktiv bleiben?
Ich werde mich auch in Zukunft für unsere Grundrechte starkmachen und die Meinungsfreiheit in Katalonien verteidigen – auch aus der Schweiz heraus. Und für den Moment bleibe ich Generalsekretärin meiner Partei. Wir lassen uns von der Repression nicht einschüchtern.

Das sagt auch Carles Puigdemont, Ihr ehemaliger Regionalchef. Stehen Sie mit ihm in Kontakt?
Wir Katalanen sind gut vernetzt untereinander. Carles hat mich vor ­einigen Tagen angerufen. Er ist froh, frei zu sein. Es ist ein starkes Signal, dass Deutschland ihn vom Vorwurf der Rebellion befreit hat. Das bringt Madrid unter Druck. Jetzt hoffe ich, dass die Schweiz in meinem Fall gleich handelt.

Kämpferin

Marta Rovira (41) ist die mächtigste Separatistin Kataloniens. Als Generalsekretärin der linksnationalistischen Partei ERC kämpft sie seit Jahren an vorderster Front für die Unabhängigkeit von Spanien. Vor ihrer Polit-Karriere arbeitete sie als Anwältin. Rovira ist verheiratet und hat eine siebenjährige Tochter.

Marta Rovira (41) ist die mächtigste Separatistin Kataloniens. Als Generalsekretärin der linksnationalistischen Partei ERC kämpft sie seit Jahren an vorderster Front für die Unabhängigkeit von Spanien. Vor ihrer Polit-Karriere arbeitete sie als Anwältin. Rovira ist verheiratet und hat eine siebenjährige Tochter.

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