Saanen im Berner Oberland. Der jährliche Ausflug des Bundesrats, liebevoll «Schulreisli» genannt, führte während anderthalb Tagen durch den Kanton Bern – Heimat von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann. Nach der abschliessenden Velofahrt gibt der FDP-Magistrat SonntagsBlick ein Interview. Hoch über jener Gemeinde, in der er seine Ferien verbringt, erteilt er bei strahlendem Wetter Auskunft über die eher trüben Aussichten in den Verhandlungen mit der EU. Mehr als bundesrätliche Velofahrten hält das drängendste politische Dossier den Berner auf Trab.
SonntagsBLICK: Herr Bundespräsident, Sie besitzen hier in Saanen ein Ferienhaus. Wie häufig schaffen Sie es ins Berner Oberland?
Johann Schneider-Ammann: Zwei-, dreimal pro Jahr. Aber Ferien als Bundesrat sind so eine Sache. Der Unterschied liegt meist einzig darin, dass ich dem Chauffeur sage: Du kannst die Akten in Saanen ausladen und nicht zu Hause in Langenthal (lacht).
2016 kommt Ihre Freizeit wohl noch etwas kürzer. Was waren die Highlights in Ihrem ersten halben Jahr als Bundespräsident?
Es gab einige spannende Auslandsbesuche. Der Besuch im Vatikan war besonders beeindruckend. Ich sass mit dem Papst am Tisch wie jetzt mit Ihnen, sprach mit ihm offen über die Probleme der Welt. Ich hatte nie das Gefühl, vor ihm in Ehrfurcht erstarren zu müssen.
Als Bundespräsident stehen Sie einem Team vor. Jetzt hat Anfang Woche Ueli Maurer das Kollegialitätsprinzip verletzt, indem er die Migrationspolitik des Departements von Simonetta Sommaruga scharf kritisierte. War das ein Thema während Ihres zweitägigen Ausflugs?
Der Ausflug ist jedes Jahr ein wichtiges Ereignis, weil man sich persönlicher kennenlernt. Das Team funktioniert gut. Wir Bundesräte sind Menschen wie jeder andere auch, einmal macht der einen Spruch, einmal der andere. Und gewisse politische Unterschiede bleiben natürlich. Ueli Maurer ist ein loyales Mitglied des Bundesrats.
Die Zeit für eine Einigung mit der EU zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative wird äusserst knapp. Ein Treffen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wurde diese Woche abgesagt. Klappt es nächste Woche?
Ich hoffe, dass es klappt. Nach dem Brexit ist die EU allerdings enorm absorbiert.
Hat Brüssel keine Zeit für die Schweiz?
Die Unterhändler sprechen miteinander. Den politischen Rahmen können wir nur auf politischer, insbesondere präsidialer Ebene in gemeinsamen Gesprächen schaffen. Das braucht Zeit.
Sie selbst haben gesagt, die Zeit dränge.
In der Herbstsession sollte das Parlament eine einvernehmliche Lösung mit der EU diskutieren können. Dafür müsste der Bundesrat am 17. August eine solche Lösung in einer Zusatzbotschaft an die Räte präsentieren. Damit diese Botschaft an der Aussenfront keine zusätzlichen Probleme schafft, sollten wir vorher etwa wissen, was mit der EU machbar ist.
Sie haben eine mögliche Lösung ins Spiel gebracht, einen temporären Inländervorrang für gewisse Regionen und Berufsgruppen. Ist das nun auch die favorisierte Lösung des Bundesrats?
Die Haltung des Bundesrats ist, dass es eine einvernehmliche Lösung braucht. Ich habe damit einem möglichen Modell etwas Aufmerksamkeit verschafft. Ich wollte einen Impuls auslösen, das ist gelungen.
Das verstärkt den Eindruck, dass der Bundesrat sich selbst nicht einig ist, welche Lösung er nun Brüssel vorschlagen wird. Der BLICK sprach von «Chaos-Truppe Bundesrat».
Wenn Sie sich dieses Urteil zutrauen, dann ist das Ihre Sicht. Die Bundesräte sind sich einig, wenn es darauf ankommt. Aber die Zeit wird knapp.
Weiss Brüssel, angesichts all der vielen Vorschläge, was die Schweiz will?
Brüssel kennt unsere Stossrichtung. Und Brüssel weiss auch, dass die Schweiz eine Lösung braucht – und dass eine Lösung auch im Interesse der EU ist. Ich habe viele Verhandlungen geführt, in der Regel liegen die Karten erst in der letzten Nacht auf dem Tisch.
Und wie gut ist unser Blatt?
Welches Blatt meinen Sie? Das Kleeblatt (lacht)?
Man wird bis zum 9. Februar 2017 keine Gesetzeslösung haben. Dann müsste der Bundesrat eine Verordnung mit Kontingenten erlassen. Was tut er dann?
Wann in Verhandlungen ein Durchbruch gelingt, lässt sich meist nicht vorhersehen. Die Situation ist schwierig und wurde durch den Brexit noch komplizierter. Der Bundesrat sucht weiter eine Lösung, Schritt für Schritt.
Was ist für die Schweiz nach dem Brexit besser: Die EU bricht auseinander oder die EU wird geschlossener und stärker?
Ganz klar: Europa muss wieder stabiler werden. Das dient auch der Schweiz.
Brexit und weitere Exits sind also schlecht für die Schweiz.
Wenn es zu unkontrollierten weiteren Exits käme, dann destabilisierte sich der Kontinent.
Dann muss der Schweizer, der nicht viel von Brüssel hält, auf eine starke EU hoffen.
Der Schweizer, der seine Freiheit verteidigen will, muss Arbeit haben. Dazu müssen wir das grosse Geschäftsvolumen mit der EU aufrechterhalten. Das geht nur, wenn der europäische Markt abnahmefähig ist. Die Kommission in Brüssel muss den Brexit sauber organisieren. Und dann braucht es wohl einige Korrekturen in Europa. Um die schwierige Aufgabe beneidet Jean-Claude Juncker niemand.
In welcher Sprache leiteten Sie am Mittwoch die Bundesratssitzung?
Jeder spricht seine Muttersprache.
Der Bundesrat will, dass alle Kantone die zweite Landessprache in der Primarschule unterrichten. Warum?
Gesellschaftspolitische und kulturelle Kriterien sind prioritär. Der Bundesrat weiss, dass die Kantone für die Volksschule zuständig sind. Das Zeichen vom Mittwoch wird von den Kantonen wohl verstanden.
Viele sagen, Englisch sei halt wichtiger fürs Berufsleben. Können Sie das bestätigen?
Wenn man als Unternehmer reist, ist Englisch die Weltsprache Nummer eins. Aus meiner staatspolitischen Überzeugung sage ich seit vielen Jahren: zuerst die zweite Landessprache und danach die Weltsprache.
Es wird spekuliert, dass Parteikollegen von Ihrem Rücktritt nach dem Präsidialjahr ausgehen.
Davon habe ich keine Kenntnis.
Das Präsidialjahr wird also nicht der Abschluss Ihrer Karriere sein?
Ich bin gewählt bis 2019. Und das Ende meiner Karriere werde ich dereinst auch kaum in einem Interview ankünden. Das hat, glaube ich, noch nie jemand gemacht. Das können Sie auch von mir nicht erwarten (schmunzelt).
Welche Schuhe gehören welchem Magistraten?
Praktisch sind sie alle. Nur, welche Schuhe gehören welchem Bundesrat? (Lösung weiter unten)