BLICK: Sie lancieren eine Initiative, um das Ja zur SVP-Masseneinwanderungs-Initiative rückgängig zu machen. Warum wollen Sie den Volkswillen nicht akzeptieren?
Thomas Geiser: Der Verfassungsartikel zur Masseneinwanderung treibt die Schweiz in eine Sackgasse. Der Widerspruch zwischen Kontingenten und Inländervorrang und unseren Verträgen mit der EU ist nicht aufzulösen. Deshalb sollten wir nochmals abstimmen.
Verträge kann man künden, auch die Personenfreizügigkeit.
Richtig. Aber wenn wir das tun, fallen alle Verträge mit der EU weg. Ich glaube, dass das einigen nicht bewusst war, die am 9. Februar Ja gesagt haben.
Der Bundesrat hat wiederholt darauf hingewiesen.
Die Abstimmung war hoch-emotional. Manche haben wohl auch Ja gesagt, um ein Zeichen zu setzen, aber in der Annahme, es gebe dann schon ein Nein. Zudem war es mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen ein Zufallsmehr.
Plagt Sie nicht einfach das schlechte Gewissen, weil Sie vor dem 9. Februar gepennt haben?
Ich bin Bürger, wähle, stimme ab. Ich fühle mich nicht verantwortlich für den Abstimmungskampf vor dem 9. Februar. Ich greife jetzt ein, weil ich mich als Bürger dazu verpflichtet fühle.
In der Schweiz gilt: Wenn das Volk gesprochen hat, ist Ruhe. Jetzt soll es Bürgerpflicht sein, diese Regel zu brechen?
So eisern ist diese Tradition nicht. Bis jetzt wurden praktisch nie Volksentscheide mit so katastrophalen Auswirkungen gefällt. Der Verfassungsartikel der SVP-Initiative ist total undemokratisch: Er verpflichtet den Bundesrat, den Entscheid bis Februar 2017 umzusetzen, notfalls ohne demokratische Diskussion oder Referendumsmöglichkeit.
Gemäss SVP ist die Angst, dass die EU die Bilateralen kündigt, unbegründet.
Man kann immer schönfärben.
Die EU profitiert auch von den Bilateralen. Sie würde sich mit der Kündigung selber schaden.
Das ist ein grosses Missverständnis. Denn die Guillotine-Klausel ist keine Möglichkeit der EU. Sie ist ein Automatismus. Wenn ein Vertrag fällt, dann fallen alle Verträge – da braucht es keine Zustimmung der EU-Staaten.
Dann irrt Blocher, wenn er sagt, eine Kündigung der Personenfreizügigkeit hätte keine Kündigung der übrigen Verträge zur Folge?
Ja, da irrt Blocher.
Ihre Initiative ist ein Plan B. Was heisst das?
Wenn das Parlament einen Vorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative verabschiedet, über den das Volk abstimmen kann, behalten wir uns offen, die Initiative zurückzuziehen.
Was passiert, wenn das Volk ein noch klareres Abschottungs-Votum abgibt?
Das ist möglich. Dann entspricht die Abschottung halt wirklich dem Volkswillen.