Immer wieder warnt Energieministerin Doris Leuthard vor dem sofortigen AKW-Ausstieg. Ihr Hauptargument – auch an die Adresse der Grünen: Stellt die Schweiz ihre Atommeiler schnell ab, braucht es mehr Stromimporte. Und die sind nicht über alle Zweifel erhaben.
Der «Aargauer Zeitung» sagte sie unlängst, was aus ihrer Sicht die Folge eines schnellen AKW-Ausstiegs ist. «Seien wir ehrlich: Aus der Steckdose fliesst Kohlestrom.» Oder anders gesagt: Wer für den sofortigen Atomausstieg stimmt – also Ja sagt zur Atomausstiegs-Initative, die am 27. November an die Urne kommt –, der ist für den Import von dreckigem, CO2-belastetem Kohlestrom verantwortlich.
Merenschwand alles andere als vorbildhaft
Ein Blick auf die offizielle, von den Schweizer Stromlieferanten betriebene Website stromkennzeichnung.ch entlarvt nun genau dieses Argument als wenig faktengestützt. So hat das Webportal «Infosperber» die Bilanz in Leuthards Wohngemeinde Merenschwand AG angeschaut. Und dort ist man alles andere als vorbildhaft. Beim Autor handelt es sich im Kurt Marti, einen Atom-Gegner der ersten Stunde.
Wenn Bundesrätin Doris Leuthard nämlich zu Hause den Backofen anwirft, fliesst schon heute Kohlestrom aus der Steckdose. In Merenschwand kamen im Jahr 2014 – neuere Zahlen gibt es noch nicht – schon 95,9 Prozent des Stroms aus dem Ausland, und zwar aus «nicht überprüfbaren Energieträgern». In dieser Rubrik werden normalerweise die fragwürdigsten Energieprodukte versteckt, also vor allem Kohlestrom aus Deutschland und Atomstrom aus Frankreich. Und dies alles, ohne dass die Schweiz schon aus der Atomenergie ausgestiegen wäre.
Als Grund gibt die Elektrizitäts-Genossenschaft Merenschwand, die im Wohnort der CVP-Magistratin für die Stromversorgung zuständig ist, Folgendes an: «Im Strommix an unsere Kunden ist ein Wert von 95,81 Prozent mit ‹nicht überprüfbare Energieträger› deklariert. Dieser Wert entsteht dadurch, weil wir die Energie zu Marktpreiskonditionen beschaffen, wo der Liefermix standardmässig als ‹100% nicht überprüfbare Energieträger› deklariert wird.»
Dass scheint auch Bundesrätin Leuthard bewusst zu sein und sie versucht, ihre Energiebilanz aufzubessern. So wird ihr Haus über eine Wärmepumpe und in der Übergangszeit mit einem Schwedenofen geheizt. In ihrem Ferienhaus liefert eine Photovoltaikanlage den Strom. Und auch der bundesrätliche Dienstwagen kommt ohne CO2-Ausstoss aus - Leuthard fährt einen Tesla, der aber nicht zu Hause aufgeladen wird, wie Leuthards Mediensprecherin mitteilt.
Auch die Merenschwander selbst konnten ihre Ökobilanz verbessern. Auf dem Dach der neuen Dreifachturnhalle läuft seit Mitte 2016 eine grosse Photovoltaik-Anlage. Strom aus der Region, für die Region. (hlm)