Hotline-Betreiber für Swisscovid-App mit scharfer Kritik an Kantonen
«Das Ganze ist ein Schuss in den Ofen»

Die Warnungen der Corona-App werden zu wenig genutzt, findet der Betreiber der entsprechenden Hotline des Bundesamts für Gesundheit, Andy Fischer von der Firma Medgate. Ein Problem sei die Freiwilligkeit, das andere das Desinteresse der Kantone an den Daten.
Publiziert: 19.08.2020 um 21:45 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2020 um 11:26 Uhr
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«Ein Schuss in den Ofen», kritisiert Andy Fischer von der Firma Medgate. Diese betreibt für das Bundesamt für Gesundheit die App-Hotline.
Foto: Zvg
Gianna Blum

Etwa 10 bis 15 Mal pro Tag geht ein Anruf bei der eigens für die SwissCovid-App eingerichteten Hotline ein. Wer diese App heruntergeladen hat, erhält eine Warnung, falls er oder sie jemandem, der positiv getestet wurde, zu nahe gekommen ist. Nicht jeder ist nach der Warnung aus der App zwingend ein Risiko, denn manchmal stellt sich heraus, dass beim entscheidenden Kontakt wohl ein Plexiglas genügend Schutz geboten hatte.

Doch etwa jeder vierte Anrufer müsste tatsächlich in Quarantäne. Müsste. Denn: «So wie es jetzt läuft ist das ganze ein Schuss in den Ofen», sagt Andy Fischer, CEO der Firma Medgate, die für das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Hotline betreibt.

An der Tagung «Swiss Healthcare Day» zieht Fischer ein erstes Fazit aus Sicht von Medgate. Die Firma betreibt auch die allgemeine Corona-Hotline für das BAG sowie eine eigens für Fachpersonal eingerichtete Hotline. Doch punkto App-Hotline ist Fischers Fazit vernichtend: «Das Ganze ist ein Witz».

«Kä Luscht» auf Quarantäne

Nicht die App selbst ist das Problem, betont Fischer, sondern die Freiwilligkeit. Da das Parlament auf einer Gesetzesgrundlage zur Warn-App bestanden hat, ist diese juristisch festgelegt: Niemand muss die App nutzen. Und wer sie nutzt, ist nicht verpflichtet, sich beim kantonsärztlichen Dienst zu melden – geschweige denn, in Quarantäne zu gehen.

Und die Hotline-Leute können niemanden anordnen, in Quarantäne zu gehen. Das kann, per Gesetz, nur der kantonsärztliche Dienst. «Für uns heisst das, dass wir den Leuten eigentlich nur einen schönen Tag wünschen können», klagt Fischer.

Und warum nicht die Kantone informieren? Fischer winkt ab. «Die Kantone wollen diese Daten nicht». Denn die Sorge sei, dass das kantonale Contact Tracing endgültig überlastet werde, wenn auch noch die App-Nutzer dazu kommen. Laut Fischer war es die Vereinigung der Kantonsärzte, die auf das Angebot hin abgewinkt hatte.

App-Kontakte sind Problem des BAG

Bei den Kantonen wird die Sache aber etwas anders interpretiert – nämlich weniger als Abwinken, sondern viel mehr als Abmachung, zweigleisig zu fahren. «BAG und Kantone haben sich gemeinsam darauf geeinigt, dass der Bund die via App identifizierten Personen betreut», sagt Aurel Köpfli, Sprecher von Rudolf Hauri, dem Präsidenten der Kantonsärzte. Die Kantone ihrerseits übernähmen dagegen alle übrigen Infizierten und ihre Kontaktpersonen sowie die Reiserückkehrer.

Immerhin werden die per App benachrichtigen Personen sensibilisiert - und erhalten einen vom Bund bezahlten Corona-Test, wenn sie das denn wünschen. Aber, räumt Köpfli ein: «Grundsätzlich werden sie nicht an die kantonalen Stellen verwiesen und auch nicht unter Quarantäne gestellt.»

Laut Köpfli ist es «juristisch heikel, nur aufgrund der App Quarantäne anzuordnen». Denn schliesslich drohen Quarantäneverweigerern teilweise hohe Bussen. Und nur wegen der App jemandem dieses Risiko aufzuhalsen, davor schreckt man offensichtlich zurück – der Anreiz, sich nach Warnung aus der App zu melden, dürfte damit sinken.

Das Problem mit den Anreizen

Die Anreize sind auch für Andy Fischer von Medgate das Kernproblem. Er zeigt sich überzeugt, dass für das föderale Seilziehen eine Lösung gefunden werden kann. Aber: Es sei nachvollziehbar, dass viele Leute wohl kaum Lust auf Quarantäne hätten. «Zumindest müsste man negative Anreize wie finanzielle Einbussen bei selbständig Erwerbenden ausmerzen.»

Fischer träumt nun davon, dass man beispielsweise gerade bei Grossanlässen den Eintritt von der Nutzung der App abhängig machen würde. Das dürfte ein Traumschloss bleiben: Denn auch das ist wegen des Diskriminierungsverbots via Gesetzeslage ausgeschlossen.

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