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Gewerbe läuft Sturm
Kantone kippen Inländervorrang bei Ausschreibungen

Der Bund will Schweizer Firmen bei öffentlichen Aufträgen bevorzugen. Doch von diesem Inländervorrang wollen die Kantone nichts wissen. Zum Ärger des Gewerbes.
Publiziert: 22.12.2019 um 22:42 Uhr
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Jahr für Jahr vergeben Bund, Kantone und Gemeinden Aufträge im Wert von 40 Milliarden Franken.
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Daniel Ballmer

Gewerbler wie Gewerkschafter waren empört! Vor ein paar Jahren hatte BLICK publik gemacht, dass der Bund im Bundeshaus Ost für 1,5 Millionen Franken neue Fenster einbauen will – aus Tschechien. Schweizer Anbieter konnten mit den Billigpreisen schlicht nicht mithalten. Beim Bau des Bundeshauses sei noch darauf geachtet worden, Schweizer Material zu verwenden, polterte der damalige CVP-Nationalrat Ruedi Lustenberger (69). Und jetzt das.

Und die Politik handelte. Im Juni beschloss das Parlament neue Regeln für das Beschaffungswesen. Bewirbt sich nun eine ausländische Firma um Aufträge beim Bund, wird neu das dortige Preisniveau berücksichtigt. Beispiel: Ein Fenster-Lieferant aus einem Land, in dem das Preisniveau 20 Prozent unter jenem der Schweiz liegt, muss ein um mindestens 20 Prozent günstigeres Angebot machen.

Es geht um 40 Milliarden Franken

Das kommt faktisch einem Inländervorrang gleich. KMU sollen so besser vor Konkurrenz aus Tiefpreisländern geschützt werden. Immerhin geht es um 8 Milliarden Franken, für die der Bund pro Jahr Aufträge vergibt – von Tunnelbauten bis zu Briefpapier.

Deutlich mehr einschenken würde der Inländervorrang fürs heimische Gewerbe in Kantonen und Gemeinden. Diese vergeben viel mehr Aufträge als der Bund – jährlich kommen Beschaffungen von 32 Milliarden Franken zusammen.

Gewerbler steigen auf die Barrikaden

Die Kantone wollen nichts wissen von der Bevorzugung einheimischen Schaffens. Die Konferenz der kantonalen Baudirektoren lehnt die neu im Bundesgesetz verankerte Preisniveau-Klausel ab. Das zeigen Dokumente, die BLICK vorliegen. Das für das Gewerbe so wichtige Harmonisierungsziel zwischen Bund und Kantonen wird damit verfehlt.

Bei Schweizer KMU kommt das ganz schlecht an. «Ohne Aufhebung dieser Diskriminierung wandern noch mehr Arbeitsplätze ins Ausland ab», ärgert sich Alex Naef von der Carosserie Hess AG in Bellach SO. Damit gingen der Schweiz auch Steuereinnahmen verloren. Naef: «Volkswirtschaftlich, aber auch ökologisch ist das ein Unsinn.»

Gleich lange Spiesse gefordert

Das Schweizer Gewerbe habe so weiter unter Billigangeboten aus dem Ausland zu leiden, doppelt Andreas Gasche vom Solothurner Gewerbeverband nach. «Es geht hier um gleich lange Spiesse!»

Auch der Berner SVP-Baudirektor Christoph Neuhaus (53) bedauert den Entscheid. Die Preisniveau-Klausel wäre gegenüber der Schweizer Wirtschaft ein «wichtiges Zeichen» gewesen. Es sei kaum zu erklären, weshalb der Bund sie umsetzen kann, die Kantone aber nicht – «besonders, weil es ums einheimische Gewerbe geht».

Vertrauen in Schweizer KMU haben

Die Mehrheit der Baudirektoren aber hat juristische Bedenken. Zu den Gegnern gehört etwa der Bündner Baudirektor Mario Cavigelli (54). «Die Preisniveau-Klausel ist nicht WTO-konform und würde gegen die bilateralen Verträge mit der EU verstossen», sagt der CVP-Regierungsrat. Zudem stünden der administrative Aufwand und der Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis. «Die Klausel verfehlt das Ziel, das einheimische Gewerbe im Vergleich zur Konkurrenz im Ausland zu stützen.»

Neben Preis und Qualität solle es daher vor allem das Kriterium der Nachhaltigkeit Schweizer Unternehmen ermöglichen, ihre Stärken auszuspielen. Es sei eine politische Frage, ob man für die Wirtschaft Marktöffnung und Wettbewerb begrüsst oder aktiven Heimatschutz bevorzugt, meint Cavigelli. «Wir gehen davon aus, dass man Vertrauen in unsere Schweizer Unternehmen haben kann und dass sie in einem qualitätsorientierten Wettbewerb bestehen können.»

Schweizer KMU würden sich zurückziehen

Gewerbler lassen sich damit aber nicht beruhigen. Mit ihrem Entscheid würden die Kantone einen grossen bürokratischen Mehraufwand verursachen, kontert Unternehmer Naef. Eine Offerte an den Bund habe nun andere Regeln als eine an die Kantone. «Noch mehr KMU ziehen sich aus der Offertstellung für die öffentliche Hand zurück», sagt Naef. Schon heute sei es vielen KMU zu kompliziert. «Sie überlassen das Feld der ausländischen Konkurrenz – oder Grosskonzernen.»

Ein wenig Hoffnung besteht für das Gewerbe dennoch: Denn bei den Regeln für die Kantone handelt es sich um Kann-Vorschriften. Das heisst: Die einzelnen Kantone haben eine gewisse Freiheit bei der Umsetzung. «Das gilt es zu nutzen», meint Regierungsrat Neuhaus.

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